1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Der Vesuv.
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ereilt, so z. B. einige junge Damen, einen Arzt und einen Studenten.
Manche werden halbverbrannt unter lautem Jammeru in's Hospital ge-
tragen. Viele sind von kundigen Führern gerettet worden, als sie, von
der Lava anscheinend ganz umzingelt, schon an jedem Auswege ver-
zweifelten.
Während all dieses Elend von dem Donner des Vulkans begleitet
wird, während Luft und Erde erzittern, während ein dicker, grauer Staub
und die himmelhohe Rauchwolke das Licht des Tages verdunkeln, mehrt
sich das Gewühl und das Gewimmel der Menschen. Die Flüchtigen
wachsen zu großen Scharen an. Die Eisenbahn befördert Menschen und
Gepäck nach Neapel; Omnibusse und anderes Fuhrwerk werden in Gang
gesetzt; die Schiffe der königlichen Flotte eilen in die Häfen von Portici
und Torre, um Hülfe zu bringen. Behörden von Neapel haben eine
Geldsumme dargegeben, sie haben Hospitäler und Notwohnungen einge-
richten lassen. Der König und die Minister sind von Rom herbei-
gekommen, um die Rettung und Unterstützung der Armen zu überwachen
und zu fördern. Die Gefangenen von Portici und anderen bedrohten
Städten müffen nach Neapel transportiert werden. Geistliche, Mönche
und Nonnen mischen sich unter die Unglücklichen, um ihnen Trost zu
spenden. Prozessionen ziehen einher; die Frauen lassen ihre schwarzen
Haare herabwallen, die ernsten Priester schreiten voran mit dem schwarzen
Kreuze, indem sie schauerliche Sterbe- und Bußlieder anstimmen. Da-
zwischen treiben Hirten ihre Herden vorüber, welche Angstlaute aus-
stoßen.
Es ist ein unbeschreibliches Durcheinander von phantastischen Bildern
der Not, des Schreckens, der tobenden Naturkräfte, der Barmherzigkeit.
Wie schwach und elend erscheint der Mensch vor diesen unbezwinglichen
Gewalten der Natur!
Inzwischen ist der Abend hereingebrochen. Jetzt erscheint die Rauch-
Wolke wie Feuer, und die Lava wirft einen Glutschein über den dnnkeln
Himmel. Sie ist im Laufe des Tages angeschwollen. Sie hat die
Mauern und Häuser von San Sebastians durchbrochen; der ganze Ort
geht in Flammen auf und bildet eine einzige weithin leuchtende Fener-
iusel. Bei Massa Vefnviana ist der Lavastrom sechs Meter hoch und
tausend Meter breit; die Stadt brennt und muß gänzlich untergehen.
Auch Resina und Portici sind in Gefahr. Vier Hauptströme der Lava
kann man bemerken, sie legen sich wie ein höllischer Glutmantel um die
Bergseiten und setzen immer noch ihren verderblichen Weg fort. Wann
und wo werden sie stehen bleiben? Und wenn sie es thun, und wenn
der Krater sich verstopft, kann nicht ein Erdbeben darauf eintreten und
uoch viel mehr Unheil bringen?
Ich kehre nach Neapel zurück und finde das Volk verzagt und ent-
setzt, es flüchtet zu seinen Heiligen. An ihren Standbildern klettern
Knaben empor und drücken Orangenblüten und Rosensträucher in ihre
Hände. Man zündet ihnen Wachskerzen an, man schreit zu ihnen um
Hülfe. Die Häuser bebeu fort und fort, an Schlaf ist in dieser Nacht