1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Madrid.
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bereit jedoch nur wenige sich blicken lassen, und diese sehen allerdings
zurückstoßend genug aus, in braune Mäntel gehüllt, die Montera oder
den breitrandigen Hut iu die Stirn gedrückt. — Lebendiger wird die
Landstraße selbst, je" mehr man sich der Hauptstadt nähert. Lange Züge
oou hochbepackten Maultieren kreuzen sich, dereu Führer in ihrer Tracht
sogleich die Provinz erraten lassen, deren Produkte sie uach der Haupt-
stadt bringen — kürzere Züge von Karren und sogenannten Galeeren
(vierräderige Fuhrmanuswagen) mit Maultieren bespannt, bewegen sich
langsam einher — dann erhebt sich plötzlich eine Staubwolke, die
rasselud und klingend sich nähert und eiue coche de colleras mehr
erraten als erblicken läßt — ein kolossales, ungeschlachtes Gebäude,
welches das Hans Österreich noch auf dem spanischen Thron gesehen
zu haben scheint, — von sieben raschen, reichgeschmückten Manltieren
gezogen, von einigen bewaffneten Reitern umgeben, rollt in tollem
Galopp weiter, auf einige Minuten alles in eine Staubwolke hüllend.
— Aus dieser entwickeln sich bald auch andere einzelne Reisende.
Weltgeistliche und Ordensgeistliche auf stattlichen Maultieren — auch
wohl ein Franziskaner auf einem Eselein, behaglich zwischen den frommen
Spenden sitzend, die er seinem Kloster zuführt — gauze Banernfamilien,
auf einem Tiere reitend —- oder ist es ein Esel, so sitzt die Mutter
mit den Kindern darauf, und der Vater schreitet rüstig nebenher — doch
muß es dem fremden Reisenden bald auffallen, daß er öfters zwei als
eiueu Reiter auf einem Pferde oder Maultiere sieht, ja uicht selten
wird die Zahl der Haimonskinder fast voll.
Schon erblicken uufere Reifenden die puerta de Alcala vor sich,
die mit dreifachen maurischen Triumphbogen, Trophäen, Pilastern, In-
schristen u. s. w. einen sonderbaren Abstich gegen die Wüste bildet, die
bis an die Mauern der Stadt reicht. Eine zahlreiche Herde Ziegen
und einige Stiere, die, für das nächste Stiergefecht bestimmt, soeben
vom Gebirge heruntergetrieben worden waren und mit Mühe von den
Treibern gebändigt wurden, hatten sich mit einer Herde von Eseln, die
ledig aus der Stadt uach den benachbarten Windmühlen zogen, im
Thore gekreuzt, und die daraus eutsteheude Verwirruug zwang den Post-
wagen, etwa hundert Schritt vom Thore zu halten, und trennte ihn
von seiner Eskorte, die schon voran und zum Thore hineingeritten
war. Eine Staubwolke umgab und bedeckte diese ganze verworrene
Masse von Menschen und Vieh. Das Brüllen der Stiere, das Schreien
der Esel, das Schelten und Rufen der Treiber zwang die Reifenden
bald, alle Hoffnung aufzugeben, sich hier Gehör oder gar freien Durch-
gang zu verschaffen, und sie waren entschlossen, ruhig die Entwirrung
dieses Knäuels abzuwarten, als sie sehr unerwartet aus dieser Rolle
philosophischer Zuschauer gerissen wurdeu. Um den Postwagen drängten
sich plötzlich einige bewaffnete Reiter, von denen einer blitzschnell die
Stränge der Maultiere abschnitt, während zwei andere den Majoral
und Zagal*) und zwei die Reisenden unter Vorhaltung sehr eindring-
*) Kutscher und Kondukteur.