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1. Bilder aus Europa mit Ausschluss des Deutschen Reiches - S. 253

1890 - Gotha : Behrend
Lissabon. 253 immer in den glücklichen Kreisen des europäischen Südens ist; kein Lüftchen regte sich; aber 57 Minuten auf 10 Uhr hörte man es in den Straßen rollen, gleich als ob Karossen hinabrollten; zugleich bebte die Erde mit gewaltig wogender Bewegung. Es war gerade der Festtag Allerheiligen; die Einwohner hatten sich zahlreich in den Kirchen ver- sammelt, als das Unglück losbrach. Die kurze Zeit von zehn Minuten war hinreichend, die schönsten Paläste, die herrlichsten Kirchen und Privatgebäude in bejammernswürdige Trümmer zu verwandeln, unter denen Tausende ihren Tod fanden. Gleich bei der ersten Erschütterung stürzte die „Easa sauta", das Haus der Inquisition, ein; dem könig- lichen Palast ging es nicht besser, er ward mit allen Kostbarkeiten, die er enthielt, von der Erde verschlungen, ein Verlust, den man allein auf zwölf Millionen Mark berechnete. Zum Glück befand sich die königliche Familie zu Belem, dem reichen Kloster au der Mündung des Tajo, westlich von Lissabon. Das prächtige Jesuileukollegium begrub unter seinen Trümmern alle darin befindlichen Mitglieder der Gesellschaft. Größeres Unglück und ein nicht zu berechnender Verlust brach in der Nähe des Zollhauses aus, wo ein großer Quai war; auf ihm hatten die köstlichen Flotten von Brasilien, Ostindien und Afrika Ballen, Kisten und Säcke voll seltener Erzeugnisse für den Gebrauch der nördlichen Welt aufgehäuft; hier lagen Millionen in Waren, und um diese Güter schwärmten von Tagesanbruch bis in die Nacht an sechshundert Reeder, Schiffer, Diener, Beamte, Matrosen aus allen Ländern. Die Erde bebt, und binnen einer Minute versinkt dieser Quai, ohne daß nur eine Seele entkommt, Wasser tritt an die Stelle, jede Spur des großen Platzes ist verschwunden. Der Schrecken, das Jammern und Wehklagen, das vou allen Seiten ertönte, geht über alle Beschreibung; die Leute liefen in die Straßen und streckten ihre Arme gen Himmel, um Guade stehend; viele suchten einen der offenen Plätze oder die Landstraße zu erreichen und rannten, zum Teil halb nackt, über die Trümmer hinweg. Greise, Frauen, Kinder, Kranke, die noch in ihren Betten lagen, wurden erstickt, ohue daß man ihnen Hilfe leisten konnte, oder wurden zer- schmettert, verschüttet und so zum schmählichsten, schaudervollsten Tode, dem Tode des Hungers, verdammt. Pferde und Rinder waren uuhalt- bar, zerrissen die Stränge und suchten vergeblich mit ihren Reitern der Zerstörung zu eutslieheu, die unvermeidlich schien. Ganze Gruppen, die sich auf der Flucht befaudeu, wurden vom Hagel der Ziegelsteine und Werkstücke erreicht oder von dem Falle erschütterter Gebäude zer- malmt. Ein Haufe lief nach der Terra de Passa, dem Platze am königlichen Palaste, um von hier auf die Schiffe zu eilen; aber sie stürzten schnell zurück, weil der Tajo sich plötzlich zu eiuer Höhe von 20^ bis 30 Fuß erhob. Es gehört unter die gräßlichsten Wunder dieses Tages, daß der Fluß blitzähnlich so anschwoll und dann eben so geschwind zurücktrat; Schiffe, die in sechs Klafter Tiefe gelegen hatten, wurden auf den nackten Boden gesetzt. Diese über allen Aus- druck grausenvolle Flut und Ebbe kehrte an diesem Tage vielmal zurück. Etliche Boote wurden gleich verschluugen; aus der königliche»« Werst
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