1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Das Leben der Renntierlappen.
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Der Hausvater bestimmt endlich einen zur Winterrast geeigneten Ort.
Hier baut er seine Hütte oder Gamme, wie sie der Lappe nennt. Dabei
sucht er gern die Nähe einer geschützten Schlucht, wo Birke und Kiefer
wächst, wo ein Bach niederstürzt, und er baut dann diese Hütte etwas
fester als das leichte Sommerzelt, bedeckt sie von außen mit Raseu,
bekleidet sie vou innen mit den Fellen des Tieres, dem er alles ver-
dankt, und erwartet nun, umringt von seinen Vorräten, die weiße,
warme Decke, welche der Himmel ihn aus den Wolken schickt. Der
Schnee fällt meterhoch; aber das Renntier achtet das nicht. Es weiß
mit seinen Hufen die Hülle fortznfcharren, weiß die Kräuter und Moose
darunter zu sinden und irrt ans diesen Ungeheuern Schneefeldern um-
her, ohne je eines Stalles oder der Wartung zu bedürfen.
Neben dem Wohnzelte des Lappen steht meist noch ein Zelt; hier
speichert er auf, was er an Mehl, Fellen und Geräten besitzt. Ge-
wöhnlich aber hat er nichts als einige hölzerne Schüsseln, einen Kessel,
einige Kleidungsstücke, einige Pelzdecken, und an den Zeltstangen hängen
die Renntiermagen, in welchen er seinen Milch- und Käsevorrat ver-
wahrt. Auf einer andern Seite der Hütte ist aus Pfählen eine Art
Hürde gemacht, in welcher die Renntiere zweimal des Tages gemolken
werden. Dies ist das Anziehendste für den Fremden, der eine Gamme
besucht. Die Hunde und Hirten treiben die Herde herbei, und die schönen
Tiere mit den klugen, milden Augen bilden einen Wald von Geweihen. Die
Kälber umringen ihre Mütter; die jungen Tiere erproben spielend und
stoßend ihre Kraft, und unaufhörlich hört man jenes seltsame Knistern, das
aus dem Knacken der Kniegelenke des Renntieres entsteht. Beim Melken
wird jedem Tiere eine Schlinge übergeworfen, damit es still stehe, und
diese Zügelriemen gebrauchen die Lappen mit derselben bewunderns-
werten Geschicklichkeit wie der Indianer seinen Lasso. Das Renntier
giebt wenig Milch; aber sie ist fetter wie jede andere und außer-
ordentlich nahrhaft. Jedes Familienglied bekommt seinen Teil; ein
anderer wird zu der täglichen Suppe verwendet, welche mit Mehl oder
auch Renntierblut oder Fleisch gemischt, eine wohlschmeckende, stärkende
Speise gewährt. Der Rest der Milch wird zu Käse gemacht. Im
Winter läßt man die Milch auch wohl gefrieren, so daß man sie in
Tafeln schneiden kann. Sie verliert dabei durchaus nichts von ihrer
süßen Frische und ist namentlich auf Reisen ein sehr dienliches Nah-
rungsmittel. Fleisch und Milch des Renntiers sind überhaupt die
wichtigste Nahrung des Lappen, und nur durch die Kräftigkeit derselben
wird es ihm möglich, die Furchtbarkeit des Winters zu überdauern.
Will man das Renntier in seiner ganzen Schnelle sehen, so muß
man es als Zugtier betrachten, wie es im scharfen Trabe mit schnellen
Tritten dahineilt. Das Geschirr ist leicht; man lenkt das Tier mittelst
eines dünnen Riemens, der am Geweih befestigt wird, und treibt es
entweder durch Zuruf und die Peitsche oder mit einem Treibstachel
an. Es wird nur einzeln vor einen Schlitten gespannt. Sorgsam in
Pelze eingehüllt, daß kein Teil des Körpers, mit Ausnahme des Ge-
sichts, der freien Luft ausgesetzt ist, sitzt der Reisende in seinem kleinen
Meyer, Lesebuch der Erdkunde U. 23