1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Aus dem hohen Norden.
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Wer Herr einer Herde von 1900 Renntieren ist, gilt für einen reichen
Mann. Wird dem Lappländer ein Kind geboren, so beschenkt er es mit
einem Renntierkalbe; bekommt es den ersten Zahn, so wird es wieder
mit einem solchen Geschenk bedacht.
2.
In Hammerfest ist die lange Nacht die Zeit der Rnhe für alles
Handelsleben, und man möchte sagen: am Polarkreise setzt die Natur
dadurch dem ruhelosen Menschengeschlechts einen Markstein seiner Thätig-
keit. Das Wasser ist öde, die Fische haben Frieden, der schmutzige
Seelappe und der nordische Fischer liegen in Erdhütten am qualmigen
Feuer und warten dort im trägen Winterschlafe, bis der neue Tag er-
scheint. Die Kaufleute in Hammerfest bringen ihre Bücher in Ordnung,
und dann sitzen sie wohl am Spieltische Tag und Nacht, halten Bälle
und Schmausereien, spielen sogar Komödie und sehnen sich endlich uu-
ruhig nach der Zeit, wo der Lichtstreif im Osten hervorbricht. In
Hammersest wohnt außer den Kanileuten kein anderer gebildeter Mensch
als ein Pastor und ein Arzt.
Die Zeit der langen Nacht ist doch nicht ganz so, wie wir sie uns
vorstellen. Die Sonne geht freilich acht Wochen unter den Horizont,
und vier Wochen lang, von Mitte Dezember bis Mitte Januar, ist
tiefe Finsternis, so daß beständig Licht gebrannt werden muß. Indes
ist sie doch nicht so schwarz, daß nicht bei hellem Wetter zur Zeit der
Mittagsstunde eine Art Dämmerung einträte, bei der man am Fenster
eine halbe Stunde oder eine ganze lesen könnte. Die Sterne stehen
dabei glänzend hell am Himmel; Nordlichter sind auch hier nicht so
selten als mehr südlich. Ist aber trübes Wetter, so herrscht die finsterste,
ununterbrochene Nacht. Mitte Januar wird die Dämmerung lichter,
und ist der Tag erst einmal angebrochen, so wächst er auch rasch.
Nun gleicht die Natur den Unterschied aus, und im Juni und Juli
beschreibt die Sonne Kreise um den Himmel, ohne sich jemals vom
Horizonte zu entfernen. Der ganze Unterschied zwischen Mittag und
Mitternacht ist dann, daß die Strahlen etwas bleicher und matter
werden, ohne daß sie aufhören, die belebende Wärme zu verlieren. Es
ist sehr eigentümlich, daß, so lange diese tageshelle und sonnenvolle
Nacht dauert, der Wind ganz schweigt und eine durch nichts gestörte
Ruhe in der Natur herrscht, als wolle diese dadurch die Zeit des
Schlafes ankündigen. Mit dem Morgen erhebt sich der Wind wieder,
und die Wetter werden losgelassen von den Nebelgeistern und abends
eingefangen; die Sonne der Nacht scheint aber oft so heiß, daß sie lästig
werden kann. Ein Bekannter erzählte mir, daß, als er sich in Hammer-
fest auf einem Balle befand und gerade um Mitternacht an den Bord
des Schiffes zurückfuhr, die Sonne so mächtig war, daß er den Rock
auszog. Das Thermometer zeigte 18 Grad. Dieser anhaltende Tag
und Sonnenschein macht es wohl auch allein möglich, daß noch Ernten
gedeihen.
Wie seltsam ist aber der Mensch? Reiche Handelsherren bringen