1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus Nord-Europa.
ihr ganzes Leben unter diesem fürchterlichen Klima zu, von denen
manche, wenn sie wollten, im schönen Süden leben könnten. Wer hier-
her kommt, sagte mir einer, thnt es natürlich des Gewinnes wegen.
Ist man aber ansäßig, so kommt man nicht wieder fort; denn wer
kauft uns ab, was wir besitzen? Menschen, welche Vermögen besitzen,
wandern nicht nach Hammerfest; es sind nur solche, die es erwerben
wollen. Aber wer hier geboren ist, der liebt diese Einöden ebenso innig
wie der Lappe seine Renntieralpen oder der Grönländer seine Eis-
buchten.
3.
Wir haben Hammerfest verlassen, das nördlichste Städtchen der
Welt, wo es die nördlichsten Bäume giebt, das nördlichste Birken-
Wäldchen, Stämme, nur noch so dick wie ein kräftiger Spazierstock.
Nun geht es fort durch öde arktische Natur, durch kahle Felsen und
Schnee. Als wir am Abend auf Deck zusammensaßen, entstand eine
unbeschreibliche Aufregung. Längst fuhren wir an der Küste der Insel
Maggerö entlang, nun aber tauchte kühn, trotzig, gewaltig, im Norden
die Spitze hinausstreckend ins offene Eismeer, ein mächtiger Felsen
auf, alle andern überragend, und die breite Brust bietet der hohe Fels
den Wellen des Eismeeres. Die Wogen brechen herein und stürmen
an, aber des Nordlands kühnster Felsen bietet ihnen zuerst die Stirn
und trotzt dem ewigen Zerstörungswerke als vorgeschobener Posten des
alten Erdteils.
Wir sind am Nordkap. Geschäftiges Leben herrscht aus dem
Schiff, geschäftiges, aufgeregtes Leben in der Gesellschaft. Die Mann-
schast hat viel zu thun. Der Anker wird am Nordkap geworfen. Die
kleinen Kanonen am Bord werden geladen, und die Salutschüsse hallen
von den Felsen, an denen die Eismeerwellen sich brechen, wieder.
Die Rettungsböte werden klar gemacht — dieses Mal zu dem Harm-
losen Zweck, uns Passagiere zum Fuße des Nordkap zu bringen, und,
27 Personen stark, schifft sich die Gesellschaft auf den kleinen Böten
ein, um am Kap zu landen. Freilich macht uns vorweg die Frage-
Sorge, wie der Gipfel zu erreichen wäre. Beinahe senkrecht sehen
wir den Nordkapfelsen sich erheben, und doch zeigen uns die Steuer-
leute dort hinauf, an dem gradlinig abfallenden Schnee vorbei, den
Weg. Da geht's nun an ein gemsenartiges Klettern. Es war ein
erstaunliches Bild, diese 27 Personen starke Klettergesellschaft am Felfen
hängend, am Schnee entlang klimmend, halb in der Luft schwebend,
schier senkrecht übereinander zu sehen. Nur um Himmelswillen keinen
Blick zurück! Dort unten liegt unser gutes Schiff, wie aus einer
Spielzeugschachtel genommen, dort unten breitet sich endlos das Meer,
und steil geht's hinab. Wer sich umwendet, der wahre sich, daß der
Schwindel ihn nicht erfaßt und kopfüber hinabzieht.
Es sind schier unbeschreibliche Pfade, auf denen wir aufwärts
klimmen. Es kommt der Moment, wo wir an fast senkrechter Stelle
mit Händen und Füßen uns in das Erdreich hineingearbeitet haben
und nun ziemlich hilflos am Felsen hängen. Der herabgereichte Stock