1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
364
Bilder aus Nord-Europa.
Wassers in einem mächtigen, 3 m dicken Strahle unter heftigem Toben
entledigt. _ Völlige Ruhe kehrt zurück, das Becken füllt sich allmählich
wieder mit Wasser, unterirdische Dämpfe erhitzen es von neuem, bis
es wieder dem Becken entspringt. Aber so glühend heiß es auch in
der Erde ist, ihre Oberfläche ist und bleibt der Kälte des Nordens
uuterthan. Noch nie hat man auf Island einen Baum fällen können,
der zum Schiffbau geeignet gewesen wäre, noch nie eine Birke die
Höhe unserer Bäume erreichen sehen. Selbst das Gras findet sich nur
im Schutz der Thäler; seine Stelle hat das berühmte isländische Moos
eingenommen. Zu keiner Zeit hat die Insel mehr als 50 000 Ein-
wohner gezählt, und der bedeutendste Ort hat nur 700 Seelen, so daß
sich jedes nur mittelmäßige Dors in Deutschland mit ihm messen kann.
Am dichtesten ist die Bevölkerung an den Küsten, woselbst sich auch
Niederlassungen der Dänen finden. Reikiavik ist hier der größte Ort.
Er hält im Monat Juli eiue Messe, auf welcher die kärglichen Gaben
des Nordens gegen den Reichtum des Südeus umgetauscht werden.
Aus allen Teilen der wild zerrissenen Insel kommen dann die Be-
wohner, ernste, schwächliche Gestalten, mit Thran und Talg, mit
isländischem Moos, Fuchsbälgen und Schwanenhäuten, wofür sie
Mehl, Kaffee, Baumwolle, Leinen u. dgl. von den Dänen in Empfang
nehmen. Darauf ziehen sie wieder in ihre Hütten zurück, deren mit
Moos ausgestopfte Steinwände und mit Rasen belegte Bretterdächer
eben so sehr ein Zeugnis der Armut ablegen wie das dürftige Haus-
gerät und die schmutzige Kleidung.
Die uuwirtlichste und wildeste Stelle der 120 Stunden langen
und halb so viel Stunden breiten Insel ist im südlichsten Teilen, der-
selben, da wo der feuerspeiende Hekla sein kegelförmiges, zerklüftetes
Haupt emporhebt. Fünf Stunden in seinem Umfange wächst kein
Grashalm; Asche und Lava, Bimsstein und armselige Trümmer zer-
störter Wohnungen schrecken jeden zurück, der es wagen wollte, auf dem
unheimlichen Boden den unterirdischen Mächten sein Geschick anzuver-
trauen. Mit innerem Grauen eilt der Isländer rasch an dem dampfen-
den Berge vorbei und ist nicht leicht zu bewegen, ihn bis zum Gipfel
zu besteigen. Riesenhafte Vögel, sagt er, scheuchten den kühnen Zu-
dringling mit eisernen Schnäbeln zurück; in der ewig brodelnden Glut
des trichterförmigen Kraters würden die Seelen der Bösen gemartert,
und der Aberglaube will sogar gesehen haben, wie ganze Schwärme
höllischer Geister die Verdammten in den schwefligten Abgrund schleppten.
Noch immer hat sich das Andenken des furchtbaren Ausbruchs vom
Jahre 1766 erhalten. Eine schwarze, mit Feuer und Sand gemischte
Rauchsäule stieg plötzlich aus dem Krater zu einer schwindelnden Höhe,
glühende Steine wurden unter furchtbarem Donner in einer solchen
Menge emporgeschleudert, daß sie Bienenschwärmen glichen. Mun hörte
das Toben des Berges in einer Entfernung von 20 Stunden unter
dem beständigen Beben des erschütterten Bodens. Die in der Luft
schwebende Asche verfinsterte die Sonne dermaßen, daß 20 Stunden
vom Hekla entfernt der Tag zur Nacht wurde, und bedeckte in einem