1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus dem mittleren Europa.
ganz oder halb mit Schnee ausgefüllt, hier und da hatte der Schnee
auch nur eine Art Brückenbogen über die Spalten gewölbt. Waren
letztere völlig offen, so sah man sich gezwungen, auf einer Seite mittelst
eingehauener Stufen bis auf den Grund hinab, auf der anderen wieder
ebenso bis an den Rand hinauf zu klettern. Vorsichtig benutzte man
zuweilen auch, immer der Gefahr des Einsinkens ausgesetzt, die Schnee-
brücken und gelangte, da sich dasselbe Wagstück oft mehrmals wieder-
holte, erst nach drei Stunden über den eine Viertelstunde breiten
Gletscher. Dann ging es weiter aufwärts inmitten der Schnee- und
Eisregion, wo nur hier und da ein kleiner vereinzelter Felsenkamm
sichtbar wurde. Die Führer wollten zwar noch innerhalb dieser Region
das Nachtlager aufschlagen, da hier noch einige Felsenspitzen aus dem
Schuee hervorragten und da sie fürchteten, daß ein Nachtlager in
größerer Höhe sicher den Tod des Erfrierens zur Folge haben müsse,
aber Saussure bestand darauf, den Weg noch weiter fortzusetzen. Er
führte einen großen Schneeabhaug hinauf; zur Rechten hatten die Berg-
steiger den Dome du ©oute, zur Linken die Aiguille du Midi, und vor
sich erblickten sie den Montblane noch immer in schwindelnder Höhe
und Herrlichkeit: seine ganze glänzende Masse lag in vollem Sonnen-
lichte da. Auf dem nächsten Schneefelde, das die Reisenden um 4 Uhr
nachmittags erreichteu, sollte gerastet werden. An einer sorgfältig aus-
gewählte«, vor Lawinen sicheren Stelle, 3700 m über dem Meere,
begann man nuu eine Höhle im Schnee auszuschaufeln — eine müh-
same Arbeit. Denn wegen der äußerst düuueu Luft kouuten selbst die
stärksten Männer nur wenige Schaufeln Schnee fortschaffen, dann
mußten sie innehalten und Atem schöpfen. Nur dadurch, daß sie
einander unaufhörlich ablösten, wurde die Höhle fertig, die man dann
mit dem Zeltdache überdeckte. In dem beschränkten Räume brachten
nun die 20 Personen dichtgedrängt, einer zwischen den Füßen des
andern sitzend, die beschwerliche Nacht zu und traten am nächsten
Morgen um 7 Uhr die letzte Tagereise nach dem Gipfel an. Wieder
wurde ein großer Schneeabhang erstiegen ; dann erreichte man den Fuß
des eisbedeckten Felsens, welcher gewissermaßen die linke Schulter des
Montblanc bildet. An seinem 500 in hohen, steilen Abhänge begann
man nuu hinauf zu klimmen. Eisblöcke und eine breite Eisspalte
drängten die Wanderer dicht an den linken Rand, wo der Felsen sich
jäh in einen tiefen Abgrund senkte. Schritt für Schritt wurden Stufen
in das Eis gehauen und mühsam arbeitete man sich bis zur Spitze
des Felsens empor. Gegen neun Uhr war sie erreicht, und nun rastete
man und genoß von dem inzwischen gefrorenen Brote und Fleische,
das an einem Kohlenfeuer etwas aufgetaut wurde. Noch ein letzter,
300 m hoher Abhang war zu ersteigen. Obgleich das Schneefeld fest
und sicher war, kam man nur langsam und unter Anstrengung vor-
wärts. Infolge der zunehmenden Dünne der Luft mußte Saussure
wie feine Führer aller 16 Schritte stehen bleiben oder sich setzen, um
Atem zu schöpfen, sonst stellten sich Anwandelungen von Ohnmacht und
Schwindel ein. So brauchte man noch zwei Stunden für dieses letzte