1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder vom deutschen Rhein.
schützen wolle. Wer hätte dem von dem Thronerben Frankreichs und
von dem Oberbefehlshaber Melae heilig verpfändeten Worte nicht trauen
sollen? Jedermann gab sich der größten Sicherheit hin. Aber am
Sonntag vor Pfingsten, es war der 22. Mai 1689, ließ der französische
Intendant La Fond dem vorgeforderten Magistrate eröffnen, daß inner-
halb 6 Tagen die Stadt ein Raub der Flammen werden würde. Fuß-
fällig bat der Magistrat um Gnade; selbst das Flehen der Kinder,
welche, von ihren Müttern geführt, sich dem Intendanten zu Füßen
warfen, konnten an dem gransamen Befehle nichts ändern. Zwar er-
schütterte der Jammer der Unglücklichen den Intendanten tief, so daß
er sich kaum der Thränen enthalten konnte, aber „der König will es
so", war die einzige Antwort, die er geben durfte. Das letzte Zuge-
ständnis, das man den unglücklichen Einwohnern machte, war die Er-
laubnis, ihre beste Habe in dem Dome und im Bischofshofe, welche
Gebäude verschont bleiben sollten, niederzulegen. Aber auch dies be-
ruhte nur auf Hinterlist und Trug. Kaum war alles auf 500 Wagen
geladen und in Sicherheit gebracht, so rückte der Herzog von Crequi in
die Stadt, nahm die ganze Habe in Besitz und erklärte, daß auch die
beiden herrlichen Gebäude, der Stolz der Wormser, den Flammen preis-
gegeben werden müßten. Mit bloßem Schwerte in der Hand zwang
man Männer und Frauen, Kinder, Greise, Kranke und Sterbende nnter
Schreien und Wehklagen über den Rhein zu flüchten. Am 31. Mai 1689,
am Pfingstdienstage, nachmittags 4 Uhr, gab ein Kanonenschuß das
Zeichen zur Plünderung und zum Brande. Bald loderten aus alleu
Ecken und Enden der Stadt die Rauchsäulen empor. Mit Jubel stürzten
sich die gefühllosen Mordbrenner in die Häuser, trieben den schändlichsten
Mutwillen in den Kirchen, erbrachen die Grüfte und Gräber, beraubten
die Leichname ihrer Gewänder und Kostbarkeiten und streuten die Ge-
beine in.vandalischer Wut umher. Das Wehklagen der auf die nahe-
gelegene Manlbeerau geflüchteten und dem Brande zusehenden Ein-
wohner wurde durch die Militärmusik, welche lustige Tänze aufspielte,
in schmachvoller Weise noch verhöhnt, und bald war die reiche, herrliche
und angesehene Stadt nur ein einziger rauchender Trümmerhaufen. Nur
der Dom, die Liebfrauen- und Pauluskirche und einige kleinere Kirchen,
die Synagoge, sowie einige Türme und Mauern hatten der zerstörenden
Gewalt des Feuers und der augelegten Minen Widerstand geleistet und
zeugen heute noch von der früheren Pracht und Herrlichkeit der Stadt.
Nur schwer hat sich Worms von diesem Schlage wieder erholt.
Nach 100 Jahren konnte es erst eine Einwohnerzahl von 5000 auf-
weisen, während dieselbe zur Zeit des Brandes wohl eine achtfach
größere war. Auch zur Zeit der französischen Revolution wiederholten
sich vielfach die Grenelfeenen des ersten französischen Überfalles. 1794
wurde die Stadt geplündert, mit 3 Millionen Franken gebrandschatzt,
und es wurden die Überreste des Bischofshofes und der neben dem Dome
stehenden Johanniskirche vollends vernichtet. In dem Frieden von
Lüneville (1801) verlor sie ihre Rechte als freie Reichsstadt und wurde
dem Departement Donnersberg als französische Kantonsstadt einverleibt.