1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Das Schloß zu^Darmstadt.
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von welchem seit 1671 ein Glockenspiel „Gott zur Ehre und den
Bewohnern Darmstadts zur Freude" in jeder Stunde bei Tag und
Nacht seine fromme Weisen erklingen läßt. — Am 19. Mai 1715
brach in dem von Georg Ii. erbauten Südflügel, in welchem sich die
Kanzlei und die Archive befanden. Feuer aus, das in wenigen Stunden
den größten Teil des Schlosses vernichtete. Landgraf Ernst Ludwig
legte daher am 10. Mai des folgenden Jahres mit großer Feierlichkeit
den Grundstein zu einem neuen Schlosse. Dasselbe sollte nach und
nach erstehen und ein Prachtbau werden, der alle, sowohl für den
fürstlichen Hofhalt, als auch für die Landesverwaltung erforderlichen
Räume in sich vereinige. Der Plan war aber so großartig angelegt,
daß die Kräfte des Landes zu dessen Ausführung nicht ausgereicht
haben würden, weshalb der Weiterbau nach einigen Jahren stockte und
endlich ganz eingestellt wurde. Der Sage erschien dieser Grund nicht
ausreichend; sie erzählt die Sache so: „Der Erbauer des Schlosses gab
dem Baumeister, der dasselbe aufrichten follte, einen großen Schatz,
um damit alle Kosten des Baues zu bestreiten. Als das Schloßt nun
so weit fertig war, wie man jetzt sieht, vergrub der Meister den Rest
des Schatzes und entfloh, nachdem er noch einen guten Teil davon
zu sich gesteckt hatte. Als er später in der Fremde starb, fand er
keine Ruhe im Grabe; er muß jede Nacht an das Schloß nach Darmstadt,
wo er an der Mauer kratzt und zwar an der Stelle, wo der Schatz
liegt. Erst wenn derselbe wiedergefunden ist, wird der Geist Ruhe
finden." Die Südfront und die Hälfte der Westfront erlauben eine
ungefähre Vorstellung, wie das ganze Gebäude sich gestalten sollte. Den
übrigen Raum nehmen die aus früheren Jahrhunderten noch vorhandenen
Bauten ein, die namentlich auf der Nordseite, durch ihre Mannigfaltigkeit,
einen interessanten Anblick gewähren. Dem Fremden füllt das sogenannte
„Bauernhäuschen" auf, ein unbedeutendes Giebelchen, das hoch oben,
scheinbar ohne Zusammenhang mit den übrigen Gebäuden und wenig
zu seiner Umgebung passend, zu sehen ist. Davon geht die Sage: „Als
das Schloß in Darmstadt gebaut werden sollte, lag das Häuschen einer
armen Witwe im Wege, und der Baumeister ging zu ihr, um es ihr
abzukaufen. Aber wie viel Geld er ihr auch für die Hütte bot, sie
wollte dieselbe nicht hergeben und sprach: Da sind meine Eltern und
Großeltern geboren und gestorben, da bin ich geboren und will ich auch
sterben. Der Baumeister wollte sie mit Gewalt aus dem Häuslein
treiben. Sie aber wandte sich an den Landgrafen und klagte °ihm ihr
Leid, und dieser gebot sofort, die arme Frau in ihrem Eigentum zu
lassen und die Hütte dem Schloß einzubauen. Das geschah, und man
sieht sie uoch heute am Schloß hängen, wie ein Nest, das ein Vöglein
daran gebaut."
In den hohen, geräumigen Sälen des neueren Schloßteiles befinden
sich außer den Prunksälen die wertvollen Sammlungen des großherzog-
lichen Museums und der Bildergalerie, zu welchen das Publikum freien
Zutritt hat, sowie die Hofbibliothek, welche mehrere hunderttausend Bände
umfaßt. Das ganze Schloß ist mit einem Graben nmgeben, über welchen