1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder vom deutschen Rhein.
deren Gebiete sie lag, erhielt sie den Namen. Diese legten Befestigungen
an, um den wichtigen Übergang nicht in die Hände der Feinde geraten
zu lassen, und wo schützende Mauern waren, da ließ sich der friedliche
Händler und Handwerker gern nieder. Eine Ortschaft entstand, und
schon in der Zeit Ludwigs des Frommen wird die Ansiedlnng ein locu«
celeber (ein volkreicher Ort) genannt.
Doch eilen wir nun der Stadt zu! Der Weg sührt uns nach
Sachsenhausen. Seiue Bewohner, wie man sagt Nachkommen der von
Karl dem Großen hier angesiedelten Sachsenkolonie, meist Obst- und
Gemüsegürtuer, Fischer, Schiffer und Tagelöhner, sind als ein kerniges
und derbes Geschlecht bekannt, aber auch gutmütig und fleißig, und jeder,
der die geräumige Verkaufshalle der Sachfenhünserinnen in Frankfurt
aufsucht, wird seine Freude haben an den wohlgediehenen Gartenge-
wachsen, die ihr Fleiß dem Boden abgewonnen hat.
Über die alte Brücke gelangen wir nach Frankfurt. Wie lange
schon dient der ehrwürdige Bau dem friedlichen Verkehr zwischen Nord-
und Süddeutschland! Aber auch schwere Kämpfe sah die Brücke im Laufe
der Jahrhunderte. Sie könnte uns erzählen von den streitenden Parteien
bei so mancher Kaiserwahl; sie war Zankapfel zwischen Kaiserlichen und
Schweden; sie sah in endlosen Zügen unsere westlichen Nachbarn sich
in unser unglückliches Vaterland ergießen; auf ihr wogte noch der Kampf
zwischen Bayern und Franzosen nach der Schlacht bei Hanau.
Heute aber — welch buntes Treiben auf und unter diesem Fluß-
Übergänge! Die Brücke, deren Mitte jetzt durch das Standbild Karls
des Großen geschmückt ist, war eine derjenigen Stätten, die der Knabe
Goethe auf den Streifereien mit seinen Gespielen am liebsten aufsuchte,
und weuu auch die zwischen Frankfurt und Mainz verkehrenden Markt-
schiffe, deren Ankunft ihn besonders unterhielt, ihre Fahrten längst ein-
gestellt haben, so bietet sich uns doch immer noch ein belebtes Flußbild
dar. Die Brücke besteht noch so, wie sie Goethe gesehen; lange Zeit
genügte sie für den Verkehr. Jetzt führen weiter abwärts noch drei,
aufwärts noch eine Brücke über den Strom.
Wenn wir unseren Weg fortsetzend das eigentliche Stadtgebiet be-
treten und an dem rechten Mainufer auf dem stattlichen Quai abwärts
geheu, fällt uns das hohe Gebäude des Saalhofs in das Auge, an
der Stelle» wo früher die Sala Ludwigs des Frommen stand, die Ge-
burtsstätte Karls des Kahlen und der Sterbeort Ludwigs des Deutschen.
Dann wenden wir uns rechts, und nach wenigen Schritten erhebt sich
vor uns der Dom. Welche Fülle nicht für Frankfurt, sondern für ganz
Deutschland bedeutungsvoller geschichtlicher Erinnerungen knüpft sich an
den Dom! Schon lange ehe durch die goldene Bulle Frankfurt zur
Wahlstadt bestimmt wurde, kürte man hier bereits den Kaiser. Diese
feierliche Handlung wurde in einer schmucklosen Kapelle des Doms vor-
genommen. Dann zog der Neugewählte nach Aachen, um sich dort
krönen zu lassen. Später wurde auch die Krönung hier im Dome voll-
zogen. Eiuer der deutschen Kaiser, Günther von Schwarzburg, liegt
hier auch begraben.