1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Aus dem Lahnthale,
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anderen Sprachen wird dann und wann wohl in einem Saale Gottes-
dienst gehalten.
Durchwandern wir die lange Hauptstraße der Stadt und die
wenigen anderen Straßen, die außer ihr noch vorhanden sind, so merken
wir, daß wir an einem Orte sind, wo alles für die Aufnahme von
Fremden eingerichtet ist. Neben den vielen großen, glänzenden Hotels,
von denen das eine an Pracht und Feinheit das andere zu übertreffen
sucht, bieten fast sämtliche Häuser von Ems den Badegästen bequeme
und schön ausgestattete Wohnungen. An vielen von ihnen liest man
ähnliche Namen, wie sie eigentliche Gasthäuser führen Und wenn der
eben erst angekommene Fremde, der sich eine Wohnung sucht, die Stadt
durchwandert, wird er vielleicht an manchen Häusern eiu ausgehängtes
Schild mit der Inschrift: „Zimmer zu vermieten" finden.
Doch nicht bloß für Gesundheit und Bequemlichkeit, souderu auch
für Annehmlichkeit und Vergnügen ist in reichster und mannigfaltigster
Weise an einem Orte gesorgt, wo aus nah und fern so viele Menschen
zusammenströmen, die großenteils nicht zu den wirklich Kranken gehören.
Wer das Geld nicht scheut, der kann sich hier viel Schönes, Reizendes
kaufen und viele Vergnügungen genießen. In glänzenden Läden werden
Bilder und Gemälde, Schmucksachen und Krystallwaren, Kleidungsstoffe
und tausend kleinere hübsche Sachen feil gehalten. Am Ufer der Lahn
laden zahlreiche kleine Böte zu Spazierfahrten auf dem Flusse ein; in
langen Reihen sieht man Esel, Maultiere, Pferde und bespannte Fuhr-
werke stehen, womit man leicht und schnell auf die Berge oder nach be-
nachbarten Orten des Thales gelangen kann. In dem Kursaalgebäude
giebt es hübsche Gemächer, wo man sich mit verschiedenen Spielen unter-
halten oder die Blätter der verschiedensten Nationen lesen kann. Der
größte Saal, der mit seinen zahlreichen Marmorsäulen, seinen die Wände
und Decke schmückenden Gemälden und seinen riesigen Spiegelscheiben
besonders prächtig schimmert, ist zu Konzerten, Theater und Bällen be-
stimmt.
Das alles ist schön und bemerkenswert; aber Ems hat noch eine
besondere Merkwürdigkeit: es ist das eine nicht weit vom Kurhause in
den Boden eingelegte Gedenktafel mit der Aufschrift: „13. Juli 1870,
9 Uhr 10 Minuten". Hier war es, wo König Wilhelm den französischen
Botschafter abwies, als dieser ihm im Namen seines Herrn ungebührliche
Erklärungen abdringen wollte. Es war ein ernster, feierlicher Augen-
blick, als zwei Tage darauf, am Morgen des 15. Juli, der König von
Ems nach seiner Hauptstadt Berlin fuhr, um alles zu dem drohenden
Kriege vorzubereiten. Mit tausend heißen Segenswünschen sahen die
Einwohner und Badegäste von Ems ihm nach. — Seitdem haben sie
den geliebten Kaiser oft freudig empfangen können, denn Ems ist ihm
während seines Lebens ein Lieblingsausenthalt im Sommer gewesen.
Ein deutscher Dichter (Emil Rittershaus) hat den schönen Ort mit
den Worten freundlich begrüßt, mit denen auch wir von ihm hier Ab-
schied nehmen wollen: