1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus den süddeutschen Landschaften.
Hauptstadt, ja die Metropole aller biertrinkeuden Städre, als es mit
seinen Kunsthallen, Palästen und Kirchen Apoll und seinen Musen huldigt
und sich gern das deutsche Athen nennen läßt. Das Bier ist in
Müucheu jedenfalls älter und ursprünglicher als die Kunst, und die
Leidenschaft für den Genuß des braunen Gerstentranks ist ohne Zweifel
der hervorstechendste Zug im bayerischen Volkscharakter.
Freilich macht jetzt die Verehrung des Bieres so große Fortschritte,
daß selbst im Weinlande Frankreich der Liebhaber dieses Gerstensaftes
oon Tag zu Tag mehr werden; freilich braut man auch außerhalb
Altbayerns echt „bayerisches Bier" — aber dennoch wird die echte
Bierheimat immer in Bayern sein, da hier allein das Bier zu einem
wesentlichen Stück der Lebenslust, mau möchte sagen des Lebens selber
gehört. Hoch und niedrig, arm und reich findet im Bier den König
aller Getränke, Alter und Gefchlecht machen in diesem Geschmacksurteil
keinen Unterschied, die Damen halten es nicht minder für ehrenooll,
hinter dem Bierkruge zu sitzen, als die Männer, und selbst an deu
höchsten Feiertagen, in den vornehmsten Familien, in den frühesten
Stunden des Tages wird das Bier jedem anderen Getränk vorgezogen.
Sieh nur da (es ist Fronleichnamsfest) den reich besetzten Tisch mit
ansgefuchten Weinen und Leckereien zum Frühstück, es sind Gäste ge-
laden, und zwar sehr angesehene Gäste: man langt zu, aber ehe der
Wein versucht wird, kostet man erst einige Schoppen Bier. Der Hand-
Werksmann verzehrt sein Maß Bier täglich zum Frühstück, und selbst
der Holzhacker weiß so viel zu erübrigen, um des Abends sein Herz
am Nationalgetränk zu laben. Wenn der Bayer sein Land verläßt
und in eine Gegend kommt, wo das Bier schlecht oder gar nicht zu
haben ist, schnappt er wie eiu Fisch uach seinem Element, und das
Heimweh ist zunächst und zu allermeist auf das Bier gerichtet. Es ist
bekannt, daß im Jahre 1844 München eine Revolution erlebte, weil
das Maß Bier um — einen Kreuzer aufgeschlagen war. Es wurden
dabei viele Fenster eingeworfen und drohende Aufläufe gemacht. Das
Bier schlug wieder ab, und man überließ sich anss Neue mit altgewohnter
Seelenruhe dem Genüsse der goldbraunen schäumenden Flüssigkeit.
Allerdings mußte der nur um einen Kreuzer gestiegeue Preis des
Bieres tief in das Leben einschneiden; denn angenommen, daß ein guter
Münchener täglich feine drei Maß Bier trinkt (was noch mäßig zu
nennen!), so macht das eine Mehrausgabe von 21 Kreuzern die Woche,
von 1 Gulden 30 Kreuzern (fast 3 Mark) den Monat. Sollten wieder
die Preise plötzlich in die Höhe gehen, dann möchte ich kein
Münchener Bierbrauer fein!
Auf äußeren Komfort und Schönheit des Bierlokals sieht der Bayer
nicht, wenn nur das Bier gut ist. Er spricht auch, während er Bier
trinkt, am liebsten von diesem Bier. Wenn auch hier und da einmal
gesuugeu wird, so werden die Zecher doch selten lustig dabei. Da ist
nun wohl mancher schnell mit dem Urteil bei der Hand, an dieser
Schwerfälligkeit sei eben das schwere Bier schuld, das Bier übe den
größten Einfluß auf Temperament und Gemüt. Dem ist nicht so.