1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die Lechebene und ihre Bewohner.
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Die auf den Hochebenen weidenden Rinderherden sind spärlich und mager,
und selbst für Ziegen und Schafe wächst unr wenig Futter, da die Winter
zu naß, die Sommer dagegen zu trocken sind. Nur die Torfmoore gedeihen
hier vorzüglich, und die Trockenhäuser ziehen sich oft halbe Standen lang
längs jener Stiche hin, welche München reichlich mit Brennmaterial ver-
sorgen. Einsame ärmliche Hütten liegen aus der weiten Ebene, und nur
hier und da blickt das Auge ein aus Birkenstäben und Weidenruten
zusammengebundenes Kreuz, vor ihm schmutzige Frauen und zerlumpte
Kinder aus den Knieen liegend. Keine der ersteren sieht sich um, so nahe
auch der Eisenbahnzug vorübersaust, und nur das junge, neugierige Blut
der Kinder blinzelt verstohlen herüber.
Nördlich und nordöstlich von diesen Torfmooren wird die Gegend
fruchtbarer, doch am fruchtbarsten westlich vom Lech, wo sich zahlreiche
Dörfer und eine Menge kleiner, heiterer Städte mit nicht unbeträchtlicher
Industrie erheben Wir befinden uns inmitten des schwäbischen Volks-
stammes, welcher bis an den Lech reicht.
Ans diesem Boden, zwischen Lech und Jller, lag vor Auflösung des
Deutschen Reiches ein buntscheckiges Gewirr von Herrschaften und Gebieten
aller Art, so daß diese Ecke Landes als Mnsterstück einer außerordent-
lichen Gebietszerstückelung auf möglichst kleinem Räume betrachtet werden
konnte. Da gab's Reichsstädte, Abteien und Grafschaften in solcher Menge,
daß in manchem Dorfe noch später drei und vierfaches Recht galt; da
kam es oft darauf an, ob sich ein Vorfall rechts oder links von der Haus-
thür ereignet hatte, indem alsdann bald nach diesem oder jenem Rechte
die Sache zu beurteilen war. Steht man auf dem Perlachtnrme zu
Augsburg, fo überblickt man das weite Sechthal fast in seiner ganzen
Ausdehnung, vom Hochvogel in den Algauer Alpen bis zur Mündung
des Stromes in die Donau, eine Strecke von fast 40 Stunden. Ober-
und unterhalb Augsburgs ist der Boden kiesbedeckt und ohne alle Acker-
krnme, daher so arm an Ortschaften, daß fünf Stunden oberhalb der
Lechbrücke von Augsburg bei dem Dorfe Lechfeld eine nur für Fußgänger
zu passiereude Brücke die beiden Ufer verbindet. So wassereich der Flnß
auch ist, so wird er gleichwohl zur Schiffahrt wenig benutzt, da sein Bett
voll gefährlicher Stellen ist.
Betreten wir dagegen das Lechfeld selbst, so gelangen wir in eine
ununterbrochene fruchtbare Ebene, auf welcher das Auge vergeblich nach
Baum oder Strauch sich umsieht. Alles ist hier Ackerland und Wiese,
aus welchem die weißeu Häuser der Dörfer gleich Schneeresten im Früh-
linge hervorschimmern. Ist der Himmel klar und heiter, dann überschaut
das Auge die ganze Kette der Algauer Alpen mit deutlicher Unterscheidung
aller hervorragenden Gipfel. Auf diesem Felde schlug Kaiser Otto I. den
10. August 955 in hoher Sommerhitze die Hunnen aufs Haupt. Noch
gar mancher andere Kampf ist hier im Dreißigjährigen und dem
Spanischen Erbfolgekriege ausgefochteu worden, und selbst in dem
Französischen Kriege zu Ende des vorigen und Anfang dieses Jahr-
Hunderts bedeckten bald Österreicher, bald Franzosen die weite Lechebene.
Diese fruchtbaren Strecken der Hochebene bewohnt ein starkes, mannhaftes
Meyer, Lesebuch der Erdkunde Iii. 12