1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
242
Bilder aus den mitteldeutschen Gebirgslandschaften.
Städte des deutschen Binnenlandes giebt es, in denen das Grün der
Natur so dicht die Wohnungen emsiger Menschen umzieht, wo die
Amsel so lustig in den Gärten pfeift und die Tauben fo sicher unter
dem Lastwagen umherlaufen.
Es ist eine behäbige Stadt von stillem Frohsinn, freundlich für
Fremde und aller Welt angenehm; durch die Großartigkeit der fried-
licheu Geschäfte, die seit Jahrhunderten in ihr betrieben wurden, und
durch das blutige Ringen, das zu verschiedenen Zeiten auf nahen oder
entfernteren Fluren ringsum stattgefunden, nicht bloß in deutschem
Lande wohlbekannt; es kann wohl sein, daß der Chinese oder Sandwich-
insulauer mehr von ihr weiß, als von dem Staate, zu dem sie gehört.
Uud doch kommt ihr weder der Vorzug einer Haupt- und Residenzstadt,
noch die Gunst der Lage an einem großen schiffbaren Strom oder an
der Seeküste zu Hilfe. Ist es das fruchtbare Land ringsum, oder das
Wohlwollen seiner Herrscher, das hier fördernd eingriff, oder der thätige
und klugberechuende Kaufmannsgeist seiner Handelsherren, der sich so
oft bewährte, gewesen, oder endlich der Glanz der Wissenschaften, die
dort eine ganz besondere Pslege fanden, wodurch Leipzig zu seiner
heutigen Blüte emporgestiegen und zu einer der wichtigsten Handels-
städte Deutschlands geworden ist?
Die Sicherheit der Lage hinter den drei Flüssen, Pleiße, Elster
und Parthe, sowie die Aussicht auf reichlichen Fischfang und leichtes
Fortkommen auf den Flüssen mochten den slawischen Stamm der Sorben
zuerst bewogen haben, hier seine Hütten aufzuschlagen. Wie aber hätte
aus dem wendischen Lipzk, „dem Lindenort", im Laufe der Zeit eine
deutsche Handelsstadt mit fortdauernd steigender Bedeutung erblühen
können, wenn nicht von vornherein die Gunst ihrer geographischen Lage
ihr zu Hilfe gekommen wäre?
Durch den weiten sächsischen Tieflandsbusen, in dessen Mitte
Leipzig liegt, führte von je von der Elbe her ebenfo der kürzeste Weg
ans dem östlichen Tieflande in die jenfeit des Gebirges belegene Ebene,
in das Thal des oberen Mains und zur obereu Donau, wie in West-
licher Richtung über Thüringen hin zu dem großen Verkehrsthale des
unteren Mains und des mittleren Rheins, in dem Frankfurt und Mainz
aufgeblüht. Wer vom Niederrhein her die Gebirge vermeiden und
nordöstlich und östlich um diese herum bequemer auf ebenen Wegen
einem südöstlich gelegenen Ziele sich nähern wollte, ward gleichfalls in
den Bufeu vou Leipzig geführt. Nicht minder gelangten dahin die
Handelszüge, die aus dem Gebiete der oberen Elbe und der oberen
Oder dem mittleren und nordwestlichen Deutschland zustrebten. Ein
solcher natürlicher Knotenpunkt von Straßen zwischen Osten und Westen,
Süden und Norden nach wichtigen Zielen hin, insbesondere zwischen
dem Mittellaufe zweier fo bedeutender und durch Schiffahrt von jeher
so belebter Ströme wie Rhein und Elbe, mußte bald der ursprünglich
wendischen Ansiedelung zu gute kommen und bei dem Vordringen der
deutschen Kolonisation dem Gedeihen einer städtischen Anlage überaus-
förderlich sein.