1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
264
man ihre Bildnisse — welche aus dem fernen Schottland gekommen
seien, um den Heiden das Evangelium zu verkünden. P. Müller.
10. Die Rhön.
Jedes Laud hat seine verrufenen und daher gemiedenen und wenig
gekannten Striche; auch Deutschland hat sie. Das Erzgebirge gilt iu
feinem höchsten Kamme als ein „Sibirien"; ebenso benennen die Nieder-
Hessen das Vogelsgebirge in Oberhessen; der Spessart, die Rhön und
der Westerwald stehen in gleichem Rufe. Unfruchtbarer, rauher Boden,
massenhafter Schnee im Winter, arme Bevölkerung — das ist im all-
gemeinen der Charakter dieser mitteldeutschen Gebirgslandschaften.
Und doch sind sie so interesselos, so reiz- und anmutslos nicht,
als man sie verschrieen hat. Wagen wir daher getrost eine Wanderung
in die Rhön, die so wenige durch Augenschein kennen, obgleich viele
Tausende von Touristen ihre blauen, aus der Ferne herübergrüßenden
und zu sich hinlockenden Kuppen von den Bergen des bevorzugten
Thüringer Waldes geschant haben. Freilich, so viele Naturschönheiten
wie dieser bietet das Aschenbrödel unter den deutschen Gebirgen nicht;
nach schön gebahnten Straßen, nach Fuhrwerken, Reittieren, feinen
Hotels sehen wir uns vergeblich um; aber wir erhalten in der Morgen-
frühe auch keine teure Rechnung von den biederen Wirrsleuteu, die kaum
begreifen können, was du in ihren Bergen willst. Doch wenn wir
lustig mit dem Knotenstocke darauf los wandern, fo finden wir bald
prächtige Bergwiesen, die sich stundenlang ausdehnen und voll der
buntesten Blumen stehen, riesenhafte Basaltkuppeu, bald steil und zackig,
bald rund gewölbt wie ein Dom, bald spitz wie ein Zuckerhut, wunder-
bar schöne Buchenwälder, in denen sich die vom Waldmeister umsäumten
glatten Stämme wie Säulen eines Tempels in die Höhe strecken.
Frische, kräftigende Luft bestreicht diese Höheu, von denen du hier
und da eine prachtvolle Fernsicht nach dem Fichtelgebirge, dem
Thüringer Walde und dem Vogels berge genießest.
Auf der hohen Rhön fallen zunächst die Hochmoore als sehr
interessante Erscheinungen ins Auge. Sie befinden sich auf erhöhten
Flächen, die vou Basaltbergen eingeschlossen sind; diese schicken ihr
Wasser in Senkungen, aus denen es nicht absließen kann. Schon aus
der Ferne verraten sie sich durch ihre rotbraune Farbe. Wehe dem
Wanderer, der in der Nacht ans diesen schwankenden und wankenden
Boden gerät, iu dem 8 m tief hineingetriebene Stangen keinen Grnnd
finden! Er muß spurlos versinken. Am Tage aber, wenn man mit
einem der Gegeud kuudigeu Rhöner vorsichtig darüberschreitet, bietet die
Moorfläche mit ihren schillernden Farben, dem zahllosen Sonnentau
und ihrer quakeudeu und unkenden Bevölkerung ein zwar ödes, aber
doch in seiner Art höchst anziehendes Bild. In den Dünsten und
Nebeln des roten und schwarzen Moores sieht das vom Aberglauben
umflorte Auge des Röhuers Wassergeister wallen, und sein Ohr hört
in der Tiefe des Moores die Glocken versunkener Dörfer läuteu.