1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Thüringische Burgen-
277
lehrter Deutung ist die schöne Sage freilich ein Nachklang aus der
alten Heidenzeit, insbesondere der heidnischen Borstellungen von Welt-
Untergang und Erneuerung. Nach dem Glaubeu der alten Deutschen
sollte «cimlich einst eine Zeit kommen in welcher die alten Götter, die
Erde und die Menschen untergehen würdeu, und darauf eine Erneuerung
der Schöpfung folgen.
„Der Weltuntergang wurde dargestellt als eine Folge der Götter-
dämmerung, d. h. der Verfinsterung der sittlichen Begriffe, der allge-
meinen Entsittuug. Götter und Riesen kämpfen so furchtbar mit-
einander, daß die Efche Aggdrasil (d. i. die Weltesche, das Weltall vor-
stellend) erbebt, und schließlich verbrennt Surtur die ganze Welt
(Muspilli). Durch den Gott der Wiedergeburt, Widar, aber entsteht
eine erneuerte Welt, mit neuen Göttern und neuen Menschen.
An Stelle der dem Tage der Entscheidung entgegenschlafenden
verwünschten, verzauberten und bergentrückten Götter traten später
andere Namen, darunter auch Kaiser Friedrich. Ihm ist die Rolle
Odins zugeteilt, was aus den Raben hervorgeht, die ein Attribut Odins
sind, indem sie sich auf seine Schulter setzen und ihm Knude ins Ohr
flüstern. Und die letzte Kunde, welche sie brachten, war die Wunder-
mär vom wiedererstandenen deutschen Reich! Nun hat in der Vor-
stellnng des Volkes auch der Rotbart seine Ruhe gefunden.
2.
„Wart'berg, du sollst mir eine Burg werden!" rief Graf Ludwig
der Salier (auch Springer genannt), als er auf einem seiner Jagdzüge
zu diesem in reizender Gegend gelegenen Berge gelangte. Und er hielt
Wort; er baute die „Wartburg" von 1067 bis 1069. — Zu jener
Zeit herrschte in Thüringen eine schwere Hungersnot, welche bis 1072
fortdauerte. Ludwig der Springer hatte in Sangerhausen große
Getreidevorräte, die er nun öffnete; wer Brot haben wollte, mußte
kommen und am Bau der Wartburg frohueu, und sie stieg schnell
empor, obgleich die dazu erforderlichen Steine teilweise vom Seeberge
bei Gotha hergeschafft werden mußten. Im Jahre 1317 schlug der
Blitz in den Hauptturm der Burg. Zwar wurde sie später wieder her-
gestellt, allein nicht in der vorigen Pracht. Erst der Großherzog von
Weimar, Karl Alexander Johann, faßte den Entschluß, „die Wart-
bürg möglichst treu in ihrer früheren Gestalt wiederherzustellen, damit
sie ein wahres Bild gebe, zunächst von ihrer Glanzperiode im 12. Jahr-
hundert als Sitz mächtiger, kunstliebender Landgrafen und als Kampf-
platz der größten deutschen Dichter des Mittelalters, und dann später
im Anfange des 16. Jahrhunderts als Asyl Dr. M. Luthers und als
der Stelle, von welcher der große Glaubenskampf ausging."
Die Ausführung dieses Entschlusses nahm 1852 nach den Plänen
des Hofbaurats Dr. H. v. Ritgen in erfreulicher Weise ihren Anfang,
und bereits 1867 war der größte Teil der Neubauten in prachtvoller
Weise vollendet.