1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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die Weserkette und kann nach siegreich bestandenem Kampfe ungehindert
und frei durch die weite norddeutsche Tiefebene ihre Gewässer dem
fernen Meere zuführen.
Wie dieser letzte Abschnitt des oberen Weserthals, so gehört auch
der dasselbe begleitende Süntel zum größten Teil der Provinz West-
falen an. Nur der erste hufeisenförmig von Hasperde aus an-
steigende Teil des Gebirges liegt ganz auf hannoverschem Gebiet. Der
südwestliche Schenkel, großer Süntel genannt, überragt den nordöstlichen
kleinen Süntel bedeutend und ist der höchste Punkt des ganzen Ge-
birgszuges. An seinen Abhängen giebt es mehrere Steinbrüche und
Kohlenbergwerke, auch eine Glashütte; sein flach verrnndeter, mit
Fichten bestandener Gipfel aber trägt einen hölzernen Aussichtsturm,
der eine umfassende Rundsicht bietet. Bei klarem Wetter reicht hier
das Auge vom Brocken bis zum Teutoburger Walde, vom Solling bis
zu den fernen Ausläufern des Wiehengebirges und über das Steinhuder
Meer mit seinem Wilhelmstein hinweg bis tief in die norddeutsche Tief-
ebene hinein. Und wie prächtig ist hier der Blick auf die herrlichen
Waldungen der langhin zu verfolgenden Weserkette, wie lieblich der auf
das schöne Weserthal da unten mit seinen vielen freundlichen Ortschaften!
Und welche mannigfachen Erinnerungen aus Sage und Geschichte ruft
dieses Thal und dieses Gebirge in uns wach! Da liegt nicht weit von
uns das hessische Dorf Fischbeck. Schon im Jahre 954 wurde hier-
von einer edlen Frau aus Gram über den Verlust ihres Gemahls und
ihrer beiden Söhne ein Nonnenkloster gegründet, das als protestantisches
Stift für adelige Damen noch heute existiert. Nach einer späteren
Legende verdankt das Stift seine Entstehung Helmburg, der Gemahlin
eines Grafen Rupert. Sie kam in Verdacht, ihrem Gemahl nach dem
Leben getrachtet zu haben, und mußte sich einem schrecklichen Gottes-
gerichte unterziehen. Auf einem mit zwei wilden Rossen bespannten
Wagen wurde sie von einem Berge hinabgerissen. Schäumend durch-
stürmten diese das Thal bis zu dem Bache, welcher jetzt Fischbeck durch-
fließt. Da hielten sie erschöpft an und löschten ihren Durst, und die
Grästn erhielt Zeit, den Wagen zu verlassen. Zum Gedächtnis an ihre
Rettung errichtete sie an dem Orte ein Kloster. In der Kirche zu
Fischbeck befindet sich noch ein gewirkter Teppich, auf dem in sechs
Feldern die verschiedenen Szenen dieser Legende dargestellt sind. Und
nicht weit davon an der Weser — Tacitus spricht von einer Ebene,
mitten zwischen der Weser und den Anhöhen, die sich ungleich krümmt,
sowie die Ufer zurückweichen oder die verengenden Berge widerstehen;
der neueste Forscher glaubt iu der Nähe der Porta diese Gegend wieder-
zufinden — muß die Schlacht bei Jdistaviso im Jahre 16 unserer
Zeitrechnung geschlagen sein. Hier stehen sich Römer und Germanen
kampfbereit gegenüber. Hier treten die beiden ungleichen Brüder Flavus
und Armiuius an des Stromes Ufer und suchen über den Fluß hinüber
in immer heftiger werdenden Rede einer den andern zu sich herüber-
zulocken; und es wäre trotz des Flusses, der sie schied, zum Schlagen
gekommen, hätte uicht ein vornehmer Römer sich beeilt, den Flavus,