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1. Bilder aus dem Deutschen Reiche - S. 326

1890 - Gotha : Behrend
326 Bilder aus dem norddeutschen Gebirgslande, fallen diese ehemaligen Einsiedeleien binnen kurzem der Vergessenheit anheim, und mit ihnen geht wieder ein Stück Waldpoesie verloren. Versetzen wir uns um einige Jahrzehnte zurück. Wir wandern einsam über den mit Klippen übersäeten Bruchberg und schlagen einen wenig betretenen Waldpfad ein, um die Windungen der Chaussee abzuschneiden. Bald nehmen die Fichten an Höhe ab, und nun stehen wir auf weiter, nur mit Beeren und Heide bewachsener Blöße. Welch wunderbar schönes Bild liegt da wie mit einem Zauberschlage vor unseren Augen! Dort die unabsehbare Hochebene mit ihren aneinander gereihten Berg- städten, ihren halb sich versteckenden Graben- und Forsthäusern, ihren aus deu Hüttenthälern emporsteigenden Rauchwolken; hier unmittelbar zu unseren Füßen, jäh niederstürzend, das scharfrandig eingeschnittene Sösethal und darüber hinaus, iu der Ferue kaum von den Wolkenzügen zu unterscheiden, Berggruppen und Hügelreihen bis zur Bramburg und zum Meißner in Hessen. Doch die wachsenden Schatten mahnen uns zur Eile. Vergeblich sehen wir uns nach dem zuletzt kaum noch erkennbaren Pfade um, dem wir dankbar sind, uns in die Irre geführt zu haben. Wohin sollen wir uus wenden? Hier türmen sich schwer ersteigliche Klippen auf, dort zieht die Tannendickung eine undnrchdring- liehe Mauer. Kein Laut ringsum, nur der Abendwind fängt an, leise und warnend in den Wipfeln der Bäume dort unten zu rauschen, und das seine Thalfahrt beginnende Wasser sickert flüsternd durch das Moos und tröpfelt kaum hörbar von einem Stein auf den anderen. Doch jetzt trägt der anschwellende Wind Klänge einer harmonischen Musik herüber, erst geisterhaft leise, allmählich klarer und bestimmter: mitten in der Wildnis, dem Abendgeläut eines Eremiten gleich, das Glocken- spiel einer dem Stalle zuwandernden Rinderherde. Wir eilen ihm ent- gegen, und kaum haben wir das Steingeröll zur Linken überwunden, so begrüßen uns knurrend und zum Angriff bereit die langhaarigen vierfüßigen Gesellen des Hirten. Noch zur rechten Zeit aber erklingt der gellende Pfiff, wie ihn die Hirten auf zwei in den Mund gesteckten Fingern mit Virtuosität hervorbringen, und die durch die auffallende Er- scheinung eines Menschen in Aufregung versetzten Hunde beschränken sich nun darauf, uns mißtrauisch zu beobachten und unheimlich unsere Füße zu umschleichen Der Hirt ist gern bereit, uns den Weg zu zeigen, aber zunächst müssen wir ihn und seine Herde auf dem Wege zum Rinder- stalle begleiten. Dort schon, oberhalb der am höchsten in das Gebirge hinaufgreifenden Stelle des Sösethals, der Geburtsstätte dieses Flüßchens, lehnt sich derselbe in „malerischer" Umgebung an die Bergwand. Bald sind die Tiere unter Dach und Fach gebracht, und wir folgen dem Hirten in seine unter demselben Dache liegende Sommerwohnung, denn ohne Imbiß läßt er uns nicht ziehen, und wenn auch unter so langen einsamen philosophischen^Betrachtuugeu wortkarg geworden, so macht es ihm doch augenscheinlich Vergnügen, einmal wieder menschliche Sprache zu hören. Die Hunde als Wache zurücklassend, führt er uns dann den schönen Weg am Morgenbrotsgraben entlang bis zur Chaussee oberhalb des Dammhauses. g. Günther.
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