1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus dem norddeutschen Gebirgslande,
fallen diese ehemaligen Einsiedeleien binnen kurzem der Vergessenheit
anheim, und mit ihnen geht wieder ein Stück Waldpoesie verloren.
Versetzen wir uns um einige Jahrzehnte zurück. Wir wandern einsam
über den mit Klippen übersäeten Bruchberg und schlagen einen wenig
betretenen Waldpfad ein, um die Windungen der Chaussee abzuschneiden.
Bald nehmen die Fichten an Höhe ab, und nun stehen wir auf weiter,
nur mit Beeren und Heide bewachsener Blöße. Welch wunderbar
schönes Bild liegt da wie mit einem Zauberschlage vor unseren Augen!
Dort die unabsehbare Hochebene mit ihren aneinander gereihten Berg-
städten, ihren halb sich versteckenden Graben- und Forsthäusern, ihren
aus deu Hüttenthälern emporsteigenden Rauchwolken; hier unmittelbar
zu unseren Füßen, jäh niederstürzend, das scharfrandig eingeschnittene
Sösethal und darüber hinaus, iu der Ferue kaum von den Wolkenzügen
zu unterscheiden, Berggruppen und Hügelreihen bis zur Bramburg und
zum Meißner in Hessen. Doch die wachsenden Schatten mahnen uns
zur Eile. Vergeblich sehen wir uns nach dem zuletzt kaum noch
erkennbaren Pfade um, dem wir dankbar sind, uns in die Irre geführt
zu haben. Wohin sollen wir uus wenden? Hier türmen sich schwer
ersteigliche Klippen auf, dort zieht die Tannendickung eine undnrchdring-
liehe Mauer. Kein Laut ringsum, nur der Abendwind fängt an, leise
und warnend in den Wipfeln der Bäume dort unten zu rauschen, und
das seine Thalfahrt beginnende Wasser sickert flüsternd durch das Moos
und tröpfelt kaum hörbar von einem Stein auf den anderen. Doch
jetzt trägt der anschwellende Wind Klänge einer harmonischen Musik
herüber, erst geisterhaft leise, allmählich klarer und bestimmter: mitten
in der Wildnis, dem Abendgeläut eines Eremiten gleich, das Glocken-
spiel einer dem Stalle zuwandernden Rinderherde. Wir eilen ihm ent-
gegen, und kaum haben wir das Steingeröll zur Linken überwunden,
so begrüßen uns knurrend und zum Angriff bereit die langhaarigen
vierfüßigen Gesellen des Hirten. Noch zur rechten Zeit aber erklingt
der gellende Pfiff, wie ihn die Hirten auf zwei in den Mund gesteckten
Fingern mit Virtuosität hervorbringen, und die durch die auffallende Er-
scheinung eines Menschen in Aufregung versetzten Hunde beschränken sich
nun darauf, uns mißtrauisch zu beobachten und unheimlich unsere Füße zu
umschleichen Der Hirt ist gern bereit, uns den Weg zu zeigen, aber
zunächst müssen wir ihn und seine Herde auf dem Wege zum Rinder-
stalle begleiten. Dort schon, oberhalb der am höchsten in das Gebirge
hinaufgreifenden Stelle des Sösethals, der Geburtsstätte dieses Flüßchens,
lehnt sich derselbe in „malerischer" Umgebung an die Bergwand. Bald
sind die Tiere unter Dach und Fach gebracht, und wir folgen dem
Hirten in seine unter demselben Dache liegende Sommerwohnung, denn
ohne Imbiß läßt er uns nicht ziehen, und wenn auch unter so langen
einsamen philosophischen^Betrachtuugeu wortkarg geworden, so macht
es ihm doch augenscheinlich Vergnügen, einmal wieder menschliche
Sprache zu hören. Die Hunde als Wache zurücklassend, führt er uns
dann den schönen Weg am Morgenbrotsgraben entlang bis zur Chaussee
oberhalb des Dammhauses. g. Günther.