1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Der niederdeutsche Volksstamm.
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Im ganzen aber ist die jetzige nach und nach entstandene Einrichtung
der Bauernhäuser, wenn auch die alte Bauweise, welche schon Moser
als die zweckdienlichste gerühmt hat, geblieben, bei weitem reinlicher,
angenehmer und, was die Hauptsache, auch gesunder als die frühere.
Neben dem Bauernhause und zwar derjenigen Seitenthür gegenüber,
welche auf den „Waschort" führt, lag früher der „Sood", ein offener,
notdürftig aufgemauerter, mit einem hölzernen Geländer eingefaßter
Brunnen, aus welchem vermittelst des an dem „Schwengel" nieder-
gelassenen Eimers das Trinkwasser geschöpft wurde. Es ist begreiflich, daß
dieses, in welches allerlei Unrat von oben hineinfiel und durch das
lockere Gemäuer das Gassenwasser und von dem nahe gelegenen Dünger-
Haufen selbst die Jauche eindrang, weder gesund noch appetitlich sein
konnte und nur zu oft zu den verderblichsten Seuchen Veranlassung gab.
Jetzt sind die meisten in gesunder Lage neu angelegten Brunnen mit
Cement ausgemauert und selbst die alten zugedeckt, indem das Wasser
durch Röhren zu deu im Hause aufgestellten Pumpen geleitet wird. Aber
auch die Düngerhaufen, die Goldgruben des Landmannes, haben, ob-
gleich sie ihres Verdienstes wegen ihren alten Platz vor und neben dem
Bauernhause unbestritten einnehmen, viel von ihrem Schrecken verloren.
Denn da die rationell betriebene Landwirtschaft einen trocken auf-
bewahrten, nicht ausgelaugten Tümpel verlangt, so sind die lnst-
verpestendeen Tümpel verschwunden und auf die nahen Wiesen abgeleitet.
3.
Zu den Dorfschaften, die die früher gemeinschaftlich bewirtschafteten
Kämpe ihrer Feldmark unter die einzelnen Besitzer geteilt haben, steht
das System der Eiuzelhöfe, wie wir es in Westfalen, nördlich von der
Lippe oder in den Marschen Holsteins finden, in vollkommenem Gegen-
satz. Der Einzelhof bildet ein in sich streng abgeschlossenes selbständiges
Ganzes. Mitten im Hofgute liegt die Hofstätte mit den Wirtschafts-
gebäudeu, und rings um diese schließen sich die Hofgründe an, Acker
und Wiese, Weide und Holz in buntem Gemenge. Nur selten berührt
das Gebiet des einen das des andern in Gegenden, wo Heide und Moor
sich ausbreitet. Da der Bauer ganz isoliert auf seinem Hofe sitzt, so
führt auch im Westfälischen dieser seinen besonderen Namen, und der
neue Besitzer nimmt gewöhnlich den Namen eines angekauften Hofes
an. Er sagt dann wohl: „Ich heiße Brägel, aber ich schreibe mich
Wichel." Dann ist letzteres sein eigentlicher Geschlechtsname, ersteres
der Name des erworbenen Hofes. Diese Einzelhöfe bilden in politischer
Beziehung kleinere oder größere Bauerschaften, die aus zwanzig bis
siebzig derselben bestehen; mehrere Banerschasten oder Dörfer machen
ein Kirchspiel ans, dessen gemeinsame Kirche mit dem gemeinsamen
Friedhofe der Mittelpunkt des Ganzen ist. Mögen auch in unserer Zeit
häufig die Kirchspiele in politischer Beziehung auseinander gerissen sein,
die erstere Einigung, die seit der Einführung des Christentums besteht,
bewährt sich nur um so dauerhafter und fester.
Wer mag sich rühmen Deutschland zu kennen, ohne diese nieder-