1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
392 Bilder aus der norddeutschen Tiefebene.
gelegt, die von der Straßenseite auf vier Pfeilern emporführt und jeden
einzelnen Quaderstein kunstreich zubehauen zeigt. Auch die innere Aus-
stattung einzelner Räume, wie die „Kriegsstube" mit ihren getäfelten
Wänden und dem Marmorkamin, bietet eine treffliche Probe, wie die
Norddeutschen das Kunsthandwerk übten. Nicht weniger zeugt das
restaurierte „Holstenthor" und das Innere „des Hauses der Kaufleute"
von einem gediegenen Glanz. Ein prächtiges Rathaus mit reich durch-
brochenem und dekoriertem Giebel hat auch Tangermünde, an lebendig
gegliedertes, kräftigen Trotz und zierliche Anmut verbindendes Stadt-
thor Stendal; auch Wismar, Rostock, Stralsund sind durch alte Bauten
bemerkenswert. Über alles großartig aber erscheinen die Profanbauten
im preußischen Ordenslande, dem letzten Anslänser des niederdeutschen
Stammes; die alte Versammluugshalle der Kaufherren in Danzig, der
Artushof, mit den auf schlanken, dünnen Granitsäulen ruhenden Ge-
wölben gehört zu den vorzüglichsten Werken dieser Art.
So gewährt ein Gang durch die Straßeu der alten norddeutschen
Städte dem Wanderer mannigfachen und dauernden Genuß. Oft sind
es nur Einzelheiten, hier ein Erker oder reicheres Portal, dort die zier-
lichen Friesbäuder oder der Giebelschmuck, welche das Auge des Kunst-
freundes erfreuen; in den verschiedensten figürlichen Darstellungen sieht
er jenen Humor zu seinem Rechte gelangen, der, dem niederdeutschen
Volkscharakter entsprechend, sich in Bildern und Sprüchen Luft macht.
Beleuchtung der Umgebung wirken mit, die Erinnerung an die Ver-
gangenheit hebt die Stimmung; zum ästhetischen Interesse gesellt sich
das historische, um den Eindruck zu erhöhen.
4.
Die charakteristischen Trachten der Landbewohner verschwinden auch
iu unserem Bezirke immer mehr und mehr. Eigentümlich ist und bleibt
einem großen Teile desselben jedoch, die Bekleidung des Fußes.
„Alle, die auf Rindshaut treten," sagt Shakespeare irgendwo, und
er wollte damit das ganze Menschengeschlecht bezeichnen. Aber großer
Gott, wie viele hat dieser Dichter dabei übersehen, namentlich den
ganzen Länder- und Völkerstrich vom dänischen Sunde'her durch Deutsch-
land über Holland bis tief ins Innere von Frankreich hinein. Denn
in dieser ganzen weiten Gegend wachsen die Schuhe für die Mehrzahl
der Bewohner nicht auf dem Rücken der Ochsen, sondern seltsam genug
in dem dicken Stamme der Bäume.
Seltsam wenigstens und ganz absonderlich muß diese vermutlich
aus dem schwerfälligen germanischen Geiste hervorgegangene Idee, die
zehn Finger unserer vom Schöpfer so zierlich gebauten, zum Anklammern,
zum Tanzen, zum elastischen Wiegen des Körpers so geschickten Füße
in die Enge und Klemme eines plnmpen steifen Stückes Holz zu stecken,
einem, amerikanischen Indianer oder allen ihm ähnlichen wilden Leuten
erscheinen. In der That scheinen es auch uur die Norddeutschen zu
sein, die die ganze Gliederung des Fußes iu eine kompakte fühllose
Masse verwandeln und ihn dem Pferdefnße ähnlich machen.