1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Das hannoversche Wendland.
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gesteckten Kranze um die Wette jagen, sowie das „Krähenbier", mit dem
die Jugend des Dorfes belohnt wird sür die Vertilgung der Krähen-
nester und ihrer Brut, Eigentümlichkeiten zu sein. Von den sonder-
baren Gebräuchen des ersteu Viehaustreibeus und dem Umtauzeu der
Maibäume, wie ich sie im Schaumburgischen kennen gelernt habe,
scheinen in unserem ganzen Fürstentums die Spuren zu fehlen.
Übrigens treibt der Aberglaube hier, wie überall, bei Hohen und Niederen
in Städten und Dörfern sein heimliches Unwesen. Zur „Naturgeschichte
des Teufels" wäre hier überall eine reiche Lese zu halten. „Behexen",
„bannen" und „besprechen", „Unterirdische" und „Zwerge", der „böse
Blick" und das „Anthuu", das „Vorlat" und das „Spüken", der „wilde
Jäger" und der Teufel, der „schwarze Hund" und der „dreifarbige Kater",
das „Leichhuhn" und die „gekrönte Schlange", Zauberbäume und Wunder-
kränter, heilige und Unglückstage, Vorschriften für alle besonderen Ver-
Hältnisse, geheimnisvolle Gebräuche zur Abwehr des Unglücks und
günstige Vorzeichen bei wichtigen Unternehmungen, Wahrsagen und
Zeichendeuten — das alles siud wichtige Stücke aus dem Volksbuche
des Aberglaubens aller Nationen. Neben vielem anderen hat der Wend-
lünder seine Besonderheiten. Damit der Tote nicht wiederkehre, gießt
man seiner Leiche einen Eimer Wasser nach; der Name muß sorgfältig
aus dem Totenhemde gelöst werden, sonst zieht die Leiche einen An-
gehörigen gleichen Namens nach. Die Mntter darf nichts Spritzendes
kochen, weil ihr Kind sonst Malzeichen bekommt; sie darf keine gelbe
Wurzeln schaben, sonst bekommt ihr Kind Sommersprossen; sie darf
nicht durchs Schlüsselloch sehen, sonst bekommt es Schielen; man darf
den Namen des nngetaufteu Kindes nicht aussprechen, sonst wird es
stammeln; damit das Kind häuslich werde, n.uß man beim Taufschmause
den Hut aufbehalten; wenn ein Mädchen zugleich mit einem Knaben
getauft wird, so bekommt es einen Bart. Die Braut muß beim Einzüge
in das neue Haus vom Bräutigam bis zur Feuerstelle getragen werden
und nicht eher mit dem Fuße die Erde berühren, dort beginnt ihre
Herrschaft. Dem jungen Paare wird ein Teller mit Suppe aus allerlei
Kräutern überreicht, allerlei Gefäme wird ihnen in die Schuhe gelegt,
das bedeutet reiche Eruten. In den Myrtenkranz der Braut muß etwas
Flachs eiugeflochteu, im Halstuch des Bräutigams muß ein feines Stock-
cheu verborgen sein. Man darf keinen Besen, noch weniger Hollunderholz
verbrennen, darf nicht auf Brot treten, an gewissen Tagen keine Arbeit
beginnen. Bollerndes Feuer bedeutet Streit; man muß dreimal hinein-
speien, um den Zauber zu bannen. Man bekommt Schwärzen, wenn man
während der letzten sechs und der ersten sechs Tage des Jahres Hülsenfrüchte
kocht. Bestreichen kranker Stellen mit einem Sargnagel macht sie gesund;
siechende Lente werden frisch, wenn sie mit frisch wachsenden Zweigen be-
rührt werden; die „Zehrer" vertreibt man durch Zauberreime. Die Hexen
treiben auf Kreuzwegen in der Walpurgisnacht ihr Unwesen; unter'eiuer
umgewaudten Egge ist man im stände, sie zu beobachten. Der Wende
glaubte durch den „Krenzbanm", meist eine hohe mit einem Kreuze und
darüber mit einem Hahn ans Holz besetzte Eiche, dem Schutzgeiste des