1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die norddeutschen Marschen.
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niemals Rindvieh als Zugtiere. Kein Stier aus diesen Gegenden hat
je seinen Nacken unter das Joch gebeugt, und die Güte des holsteinschen
Ochsenfleisches soll wesentlich mit durch den Umstand bedingt sein, daß
die Tiere nicht zum Ziehen verwendet werden. Außerordentlich gut ist
auch das Kalbfleisch. Die jungen Tiere werden nicht, wie es anderwärts
geschieht, mit 14 bis 24 Tagen geschlachtet, sondern erst, wenn sie zehn
bis zwölf Wochen alt sind, und dann werden sie, um dem Fleische
seine Zartheit und seinen Wohlgeschmack zu erhalten, mit Milch und
Eiern gefüttert. Ausgezeichnet ist auch die Pferdezucht in den Marschen.
Besonders für schwere Reiterei sind die kräftigen, hohen Tiere sehr
geeignet; dock werden auch viele als Wagenpferde ausgeführt.
Der Menschenschlag in den Marschen ist kräftig, stark, wohlgenährt
und von zäher Ausdauer. Die Phantasie der Marschbewohner ist zwar
etwas schwerfällig, sie besitzen auch nicht jene Beweglichkeit des Geistes
und jenes rasche Erfassen, wie man es anderwärts findet; allein was
sie einmal erfaßt und als gut und richtig erkannt haben, das führen
sie auch mit Beharrlichkeit und Ausdauer durch.
Auf Speise und Trank hält man in den Marschen sehr viel, wie
schon das Sprichwort andeutet: „Eten uu Trinken sünd sör Lief und
Sel an ifern Band*)." Das Eigentümliche der Speisen ist eine gewisse
Derbheit und Gediegenheit, die vielleicht nicht ohne Einfluß auf die
geistige und gemütliche Beschaffenheit der Marschbauern ist. Eine große
Rolle, besonders bei den ärmern Leuten und bei den Knechten und
Mägden der Marschhöfe, spielt der Buchweizen, aus welchem man die
sogenannte Grütze, einen Brei mit Milch, Butter und Speck, kocht.
Speck und schwere Mehlspeisen sind überhaupt vorherrschende Nahrnngs-
mittel. Man ißt Erbsensuppe mit Speck, Klöße mit Speck, Bohnen
mit Speck und Pfannkuchen mit Speck — kurz, es ist beinahe wie auf
jedem Schiffe, wo der tägliche Speisezettel lautet: „Erbsen mit Speck
oder Speck mit Erbsen." Ein seltsames Gericht, welches zur Verdauung
allerdings einen kräftigen norddeutschen Magen verlangt, sind die so-
genannten „swetigen Mehlbüdel", d. h. Klöße von einem ungeheuren
Umfange, oft größer als ein Manneskopf, aus Weizenmehl, Pflaumen,
Rosinen, Eiern, Butter und Milch. Im Winter, zur Zeit der Schlacht-
seste, wird dieses Gemengsel statt mit Milch mit frischem Schweineblute
vermengt, dann gekocht und in brauner Butter aufgetragen. So ver-
schiedenartig auch die Bestandteile erscheinen, so gut schmecken diese
Mehlbüttel, wenn man sich erst daran gewöhnt hat; man könnte diese
Speise das Nationalgericht der Marschbewohner nennen.
Das Brot, welches in der Marschgegend genossen wird, ist entweder
sehr schönes, mit goldbrauner Kruste überzognes Weißbrot oder sehr
schwarzes, schweres Roggenbrot von derselben Beschaffenheit und dem-
selben Geschmack wie der westfälische Pumpernickel. Gewöhnlich ißt
man das Brot so: auf eine Schnitte Schwarzbrot, mit Butter bestrichen.
*) „Essen und Trinken sind für Leib und Seele ein eisern Band.