1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Berlin.
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der Stadt Berlin diese glänzende Zukunft eröffnet. Nach dem Aus-
scheiden Österreichs und Wiens aus dem deutschen Staatenverbande,
nach der Auflösung des deutscheu Bundes in Frankfurt, nach der
Wiederherstellung der alten deutschen Reichsgrenze gegen Frankreich und
nachdem der König von Preußen sich die deutsche Kaiserkrone aufs
Haupt gesetzt hat, ist der nationale Schwerpunkt Deutschlands nun
gänzlich nach Berlin gefallen. Es ist für alle diplomatischen und
staatlichen Transaktionen das entscheidende Hauptforum und der Sitz
des Reichstags geworden, in überraschender Weise an Bevölkerung,
Arbeitskraft und Kapital infolgedessen vermehrt worden.
Wer von Berlin länger als ein Jahrzehnt fern geblieben und es
jetzt in seiner nenen Gestalt wiedersieht, kann sich vor Erstaunen über
die Wandlung kaum fasseu. Die ehedem stille Stadt ist Großstadt in
des Wortes weitester Bedeutung geworden. Der Verkehr hat dank den
neugeschaffenen Verkehrsmitteln riesig zugenommen, während die Woh-
nnngsverhältnisse durch eiue rationelle Stadterweiterung eine wesentliche
Verbesserung erfahren haben. Im Norden hat sich das Volk der
Maschinenbauer und Arbeiter niedergelassen und aus dem sonst so armen
und verrufenen Vogtlande eine stolze und große Fabrikstadt gemacht,
deren Schornsteine wie zahlreiche Minarets der Industrie in die Luft
ragen. Noch sind es kaum vierzig Jahre her, als die Kohl- und
Kartoffelfelder im Südosten auf dem ehemaligen Köpnicker Felde bis
nahe an die alte Jakobsstraße reichten. Dort, wo jetzt die schöne
Alexandrinenstraße zieht, ging ein Sandweg, an dem sich hier und da
ein Gärtner angesiedelt hatte. An beiden Seiten der Kais am Kanal,
welcher die Spree und den Landwehrgraben verbindet, breiten sich jetzt
schöne Trottoire, weite Fahrstraßen, mit doppelten Reihen von Linden
und Kastanien eingefaßt und von prächtigen Wohnhäusern und kleinen
Villen begrenzt. Und im Westen? hier erhebt sich eine ganz neue
Stadt mit Prachtstraßen, deren Häuser mit allem Stolz und Reichtum
von Palästen ausgestattet sind. Noch ist kein Handel hier, keine In-
dustrie; keine Fabriken sieht man, keine Geschäfte, und dennoch wogt
ein Menschen- und Wagenverkehr, dessen Ursache lediglich aus dem
organischen Zusammenhang dieser neuen, schönen Stadtgegend mit dem
alten Berlin zu erklären ist. Hier sind die Quartiere des guten Mittel-
standes, der hohen Beamten-, der Schriftsteller- und Künstlerwelt,
während die Geburts- und Geldaristokratie nach wie vor die Straße,
„unter den Linden", die die Hauptstadt nahe vom Brandenburger Thor
an in der Großartigkeit ihrer Prachtbauten erblicken läßt, deren nächste
Umgebung, sowie den Saum des herrlichen „Tiergartens" mit ihren
Palästen und Landhäusern in Besitz hält.
Die durchaus breiten Straßen des nenen Berlin gestatten allent-
halben den ^ramwah- und Omnibusverkehr, während die neugebaute
Stadtbahn, die Berlin quer durchschneidet, es der minder bemittelten
Klasse ermöglicht, ihre Wohnstätten an der äußersten Peripherie anfzu-
schlagen. In Berlin hält die Baulust fortwährend an, und wohl in
keiner Stadt Europas werden seit Jahr und Tag so viele Wohnungen
Meyer, Lesebuch der Erdkunde Iii. 30