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1. Bilder aus dem Deutschen Reiche - S. 496

1890 - Gotha : Behrend
496 Bilder aus der norddeutschen Tiefebene. Zeitpächter oft in ihrer sehr gedrückten Lage noch an die Zeil der früheren Hörigkeit erinnern. Ein großes Bauerndorf, in dem die bäner- lichen Wirte mit ihren sechs bis acht Pferden und fünfzehn bis zwanzig Kühen ihren Pachtzins an die groß^herzogliche Domänenkammer in Schwerin zahlen müssen, womöglich in fruchtbarer Gegeud und fern von dem großen Verkehr der Städte gelegen, eignet sich am besten dazu. Die Zeit des Karnevals, in Norddeutschland überall „Fastelabend" genannt, ist erschienen. Den ganzen Winter hindurch ist das männliche wie weibliche Gesinde des Bauern, er selbst mit an der Spitze, Tag sür Tag beschäftigt gewesen, von morgens drei Uhr an bis zum Beginn der Feldarbeiten auf der Hausdiele die Getreidegarben mit den schweren Dreschflegeln auszudreschen. Der Reisende, den eine Winternacht durch ein Bauerndorf führt, kann von drei Uhr an aus jedem Hofe die takt- mäßigen Schläge der Flegel weit erschallen hören. Kommt er näher, so sieht er durch die sonst immer offene, weite, hohe, einem Scheunen- thor gleichende Hausthür, wie zwei oder drei Knechte und ebensoviel Mägde auf der nur von der Flamme des Feuerherdes matt beleuchteten Diele stehen und rüstig ihre Flegel aus die vollen Getreidegarben fallen lassen. Jetzt endlich, Mitte Februar, ist das meiste Getreide ausgedroschen und vom stattlichen Gespann in die Stadt gefahren, während der Bauer die blanken, harten Goldstücke dafür sorgsam in einem langen Wollen- strumpf, der im untersten Winkel der buutgemalten Lade verborgen wird, aufbewahrt. Es ist Zeit, daß es einmal wieder Tanz und Lust- barkeit giebt, damit die Knochen geschmeidig und die Gemüter frifch bleiben. Ist doch der lange Winter gar zu einförmig vergangen, denn im ganzen großen Dorf, durch welches keine befahrene Landstraße führt, befindet sich kein einziges Wirtshaus. Was würde man in Süddeutsch- land dazu sagen! Einige Tage vor dem „Fastelabend" bemerkt man im Dorfe nn- gewöhnliche Veränderungen; die „Großknechte" stecken eifriger wie je in den Dämmerungsstunden in größeren und kleineren Gruppen aus der Dorfstraße oder deu einzelnen Höfen zusammen und scheinen oft in sehr hitzigen Beratungen begriffen zu sein. Ehrerbietig umstehen die „Mittel- knechte", denen noch keine volle Stimme zukommt, diese Großwürden- träger der dienstbotlichen Rangordnung und lauschen ihrer Worte, während die „Pferdejungen" oder „Lüttknechte" und Knhhirtenjungen als Sendboten von Versammlung zu Versammlung fliegen. Es gilt die Festmarschälle zum Fastelabend unter den Knechten zu wählen. Dieser Großknecht macht Anspruch „Gaffelträger" zu werden, weil er der größte und stärkste im ganzen Dorfe ist. Jener will den „Butter- korb" tragen, da er beim reichsten Bauer dient, dieser die „Branntwein- slasche", weil er eine Jacke ganz mit silbernen Knöpfen hat, ein anderer, weil sein Viergespann das beste im ganzen Dorfe ist. So geht es fort und fort; jeder Kandidat hat seine Anhänger und wieder Gegner, und es erfordert oft viele heftige Worte, ja selbst oft tüchtige Faustschläge, bis alle Wahlen gehörig festgestellt sind. Auch die älteren Bauern
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