1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus der norddeutschen Tiefebene.
abzuholen. Im Festhause herrscht unterdessen große Thätigkeit in allen
Ecken und Winkeln. Gegen elf Uhr halten die sehnlichst erwarteten
Gäste, die Musikanten, ihren Einzug. Drei Mann, ein Violinist, ein
Klarinettist und ein Trompeter, bilden in der Regel das Orchester,
während den mitgebrachten Brummbaß zu streichen einige kunstsinnige
Jungen des Dorfes sich zur Ehre anrechnen. Unter lautem Jauchzen
aller Knechte und Jungen, die wie besessen durch dick und düuu neben-
her rennen, jagt der Wagen durch das Dorf dem Festhause zu. Trotz-
dem, daß die Strohsäcke des Sitzes bei den furchtbaren Stößen hoch
herauffliegen, suchen die Musikanten es doch möglich zu machen, mit
lauter Musik ihreu Einzug zu feiern. Ein gutes Frühstück, aus Schinken,
Wurst, Eiern, Brauntwein und warmem Bier bestehend, entschädigt sie
für die ausgestandenen Strapazen der Fahrt und stärkt sie für die viel
größeren, die ihrer harren.
Jetzt naht der Hauptpunkt des Festes: der feierliche Umzug durch
das Dorf. Alle Großknechte haben sich in ihrem besten Staate, kurzen
blauen Tuchjacken mit blanken Knöpfen, ebensolchen Unterwesten und
langen, weiten weißen Leinwandhosen, die runden Mützen mit großen
Sträußen von grünem Buchsbaum und köstlichen Blumen von Glanz-
Papier und Rauschgold verziert, auf dem Festhofe eingefunden. Von
hier setzt sich das Ganze in Bewegung. Voran ziehen die Musikanten,
einen Marsch beginnend; ein stämmiger Großknecht, in der einen Hand
eine allmächtig große, runde Flasche von grünem Glase, am Halse
mit einigen langen, flatternden buntfeideueu Bändern verziert, die mit
Branntwein gefüllt ist, in der andern ein Schnapsglas, folgt ihnen.
Er macht den Mundschenk des Zuges und trinkt sowohl auf allen
Bauernhöfen wie auch sonst auf der Straße jedem ihm begegnenden
männlichen Wesen einen „Schnaps" zu, der nicht ausgeschlagen werden
darf, wenn es nicht für eine schwere Beleidigung gelten soll. Hinter
dem Mundschenk folgen zwei Großknechte, von deuen jeder eine „Gaffel",
wie man sie zum Umwenden des Getreides beim Dreschen braucht,
trägt, von deren beiden Enden lange, regenbogenfarbige Bänder weit
in die Luft fliegen. Den Gaffelträgern folgen die „Harkenträger", die
zwei ebenso an den Zacken mit Bändern geschmückte „Harken" auf
langen Stielen tragen; diesen wieder zwei Knechte, die große, flache
Futterkiepen, mit Häckerling gefüllt und auch möglichst mit Bändern
und grünem Strauchwerk an beiden Seiten verziert, in den Händen
halten. Einige andere Knechte mit großen Fahrpeitschen, mit denen
sie unaufhörlich kunstgerecht zu knallen suchen, schließen den Zug, der,
jubelnd von der gesamten Jugend des Dorfes umschwärmt, nach dem
nächsten Bauernhofe zu marschiert. Der Bauer nebst Frau und samt-
lichem weiblichen Dienstpersonal empfängt denselben auf der großen
Diele des Hauses. Ein lustiger Tusch der Musikanten wird aufgespielt
und zuerst dem Bauer selbst, der herzhaft sein Glas mit einem Zuge
austrinkt, und dann den Weibern, die aber nur verschämt daran nippen,
ein Trunk dargebracht, wobei die Darbieter sich selbst gewöhnlich auch
nicht zu vergessen Pslegen. Jetzt kommt die Bauerfrau und bringt mit