1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus der norddeutschen Tiefebene.
bildet, das beinahe so breit ist wie lang. Allenthalben blicken alter-
tümliche Giebel auf den Platz herein, der noch viel ansehnlicher sein
würde, wenn der Raum nicht teilweise von Gebäuden und Buden besetzt
wäre. Letztere werden von ihren Inhabern mit einem gewissen Rechte
unterhalten, obwohl schon eine größere Anzahl derselben in Wegfall
gekommen ist. Das ansehnlichste der altertümlichen Gebäude des Ringes
ist das Rathaus, welches sich mit seinen Erkern, Gesimsen und Giebeln,
mit deu Figuren und Schnörkeln seines Mauerwerks und dem achteckig
aussteigenden Hauptturme recht stattlich ausnimmt. Sein erster Stock
enthält den schöngewölbten Fürstensaal, in welchem sich einst Friedrich Ii.,
nachdem er sich zum Herrn von Schlesien gemacht, huldigen ließ. In
den unteren Räumen des Rathanses befindet sich der bekannte Schweid-
nitzer Keller, ein Lokal, in welchem früher besonders das beliebte Schweid-
nitzer Bier verzapft wurde. Welche Bedeutuug derselbe noch gegenwärtig
hat, bemeist der Umstand, daß der Inhaber desselben einen Pacht von
beinahe 50 000 Mark an die Stadt entrichtet. Am Hanpteiugange des
Rathauses bemerkt man zwei alte in Stein gehauene Figuren. Die
eine stellt deu „Voitknecht" (Vogtkuecht) dar, der die Parteien vor den
Stadtvogt zu ladeu hatte und sich durch einen hölzernen Pflock, den er
als Zeigen seiner Anwesenheit in die Thür zu schlagen pflegte, legitimierte.
Aus diesem Grunde wohl trägt die Figur einen Hammer und hat eine
Tasche um den Leib. Das andere Steinbild wird durch eine Inschrift
als „des Rates geharnischter Mann" bezeichnet, der bei Tag und Nacht
für die Sicherheit der Stadt zu sorgen hatte. Die „Staupsäule" vor
der Rathaustreppe erhebt sich au der unheimlichen Stätte, auf welcher
früher die Bluturteile des Rates, dem die Gerichtsbarkeit zustand, vollzogen
wurden. Ein merkwürdiges Hans am Ring ist das der „sieben Knr-
fürsten", welches durch Freskomalereien und Inschriften an seiner
Außenseite berichtet, daß in demselben die Könige von Böhmen und
die Kaiser bei ihrer Anwesenheit in Breslau einzukehren pflegten. Ein
anderes dieser ursprünglich alten Häuser — der „goldene Becher" —
hat jetzt ein modernes Gewand angelegt und nur den alten Eingang
zum Geschäftslokal beibehalten. Teile des Ringes sind der Paradeplatz,
der einst glänzende Turniere gesehen, und die Galgenseite, nach dem
einst an dieser Stelle aufsteigenden Galgen so geheißen. Auf dem
Riuge ist der Verkehr der Stadt am lebhaftesten. Ein Laden reiht
sich hier an den anderen, und das Raffeln der Wagen kommt fast nim-
mer zum Stillstand. Hier kauft die Hausfrau ihre Bedürfnisse von den
Landbewohnern, die Eier und Butter, Obst und Gemüse, Gänse und
Hühner zum Verkaufe feil bieten. Noch viel lebhafter aber ist das
Treiben, wenn einer jener großen Märkte, deren Breslau mehrere hat,
abgehalten wird. Bei dem berühmten Wollmarkt im Frühjahre werden
bedeutende Einkäufe gemacht, und selbst nach der feinen Wolle edler
Merinoschafe geschieht dann nicht vergebens Nachfrage. Doch ist der
Wvllmarkt nicht mehr so bedeutend wie früher. Auch bei dem Flachs-
markt fehlt es in Breslan nicht an großem Umsatz, und während des
Honigmarktes haben die Bienenzüchter von ihrem süßen Artikel manch-