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1. Bilder aus dem Deutschen Reiche - S. 523

1890 - Gotha : Behrend
Litauen und seine Bewohner. 523 In den Wechselgesängen zwischen Mutter und Sohn bittet der Sohn die Mutter um ihren Segen, er will in den Krieg; die Mutter schildert ihm die Schreckeu des Krieges; er fände da keine Schlafkammer, kein Bett, keine weiche Decke. Der Sohn bittet: „Laß mich ziehen, das Schlachtfeld wird meine Kammer sein, der Nachttau meine Lager- stätte, der Nebel mein Deckbett." Da segnet sie ihn und schickt ihn ins Feld zu den Brüdern, daß er vereint mit ihnen den Sieg heim- bringe. Die Melodieen der Volkslieder sind weich, träumerisch, an- ziehend; auch ihr Choralgesang hat eine lockende Eigentümlichkeit Blasen doch selbst die Litauer Postilloue ganz anders als unsere, so sehnsüchtig, in schmerzlicher Lust und wonnigem Leide, daß man mit den Tönen vergehen möchte. Eigentümlich wie der Gesang ist ihre Tracht; die Frauen tragen wollene Kleider von eigenem Gewebe mit breiten, bunten Streifen; um den Kopf ein farbiges Tuch, turbanartig gewunden; die Jungfrauen haben ihr Haar in breiten Zöpfen geflochten, nach der Stirn zu wie Ammoushörner gewunden; die Stirn ist mit einer Binde geschmückt. Alles ist schmuck an ihnen, der Sonntagsstaat aber ganz besonders. Da paradieren die Mädchen in blauer, mit Fischotterpelz verbrämter Kasawaika, mit Goldtressen und Schnüren reich besetzt; ein breiter, buntgewirkter Gürtel, von dem starke Quasten herabhängen, umschließt die Taille; blendend weißes Tuch von feinem Linnen, worin selbst- ersonnene sinnvolle Sprüche und Verse gestickt sind, hängt vornehm über die Schulter. Einfacher, aber ebenso eigentümlich und kleidsam ist die Tracht der Männer. Selbstgewebte blauwollene Röcke, dicht zugehäkelt, decken ihren Leib, eine Art dunklen Tuchhelms schützt ihren Kopf, den lange blonde Haare zieren; ein ähnlicher Halsharnisch schließt sich an den Helm, der mit offenem oder geschlossenen Visier getragen werden kann, je nachdem die Witterung es gestattet oder gebietet. Ein breiter Lederriem umgürtet ihre Taille, wahrend selbstgefertigtes, sandalenartiges Flecht- werk von Lindenbast ihre Füße bekleidet. Ihre Lebensweise ist einfach, ihr Brot ungewöhnlich grob, da sie das Getreide dazu in der Regel nur schroten; sie bedienen sich dazu der Handmühlen, deren jede Haushaltung eine eigene besitzt, ähnlich den großen Kaffeemühlen unserer Spezereihändler. Kartoffeln sind ihre gewöhnliche Speise; gesäuerter Brei, mit Milch Übergossen, Eisenbrei mit Speck, Butterteig mit Saffran ihre Festspeisen. In den Fischgegenden kommt Fisch fast täglich aus den Tisch, Brot oft nur an Sonntagen. Ihr Getränk in der Ernte ist ein Haferbier, bei Hochzeiten Met, aus gegorenem Honig bereitet, zuweilen feurig und edel wie alter Ungarwein. Auffallend erscheint den Reisenden, daß die weibliche Bevölkerung an Lebendigkeit und Regsamkeit die männliche übertrifft. Der Grund liegt wohl darin, daß hier, ähnlich wie in Ostfriesland, die Mädchen und Frauen weniger mit schwerer, Leib und Seele erschöpfender Arbeit beladen und überladen sind als in andern Ländern. Sticken und Weben ist ihre Hauptarbeit; beides beschäftigt, ohne zu erschöpfen;
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