1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
540
Silber von her deutschen Küste.
Reinlichkeit und Nettigkeit, wie sie auf Schiffen beliebt ist. Freilich ist
der Dünensand weiß und rein und trocknet ungemein rasch, so daß er
an den Füßen nicht haftet. Die Gürten pslegen die Inselbewohner in
künstlichen Vertiefungen anzulegen, damit die Pslanzen mehr Feuchtig-
keit haben und gegen den Nordwind geschützt sind. Das Trinkwasser
gewinnt man ebenfalls aus Vertiefungen, „Dobben" genannt, in denen
das Dünenwaffer zusammensickert. Manchmal sind dieselben mit einem
Geländer umgeben, oft gelangen die Insulanerinnen auf dem sich
senkenden Pfade allmählich zur „Dobbe", um den Eimer zu füllen.
Alle Inseln haben großen Mangel an Holz, weil Bäume fast gar nicht
vorkommen. Da muß denn die mütterliche See mit ihrem Strandholz
aushelfen. Der Insulaner scheut keine Mühe, es sich zu oerschaffen;
mancher giebt sogar die Nachtruhe preis, um „Strandgut" zu suchen.
Es muß oft stundenweit auf dem Rücken über die Dünen getragen
werden. Auf den weniger bewohnten Inseln, wie Juift und Baltrum,
findet man bei jedem Haufe eiueu Haufen Strandholz, teils Schiffs-
rippen, teils Masten oder Balken, in denen noch die krummgebogenen
Nägel haften. Es giebt den Bewohnern nicht nur Feuerung, sondern
auch Baumaterial, denn, soweit möglich wird alles Hölzerne von
Strandholz gemacht, Balken und Wände, die man tapeziert, um es
weniger augenfällig zu machen, Hühner- und Schafstall, Schwellen und
Fensterbänke. An Orten, wo er es nicht erwartet, findet der Fremde
das Namensbrett eines Schiffes angebracht; da liest er plötzlich „Gesina"
oder das nordische „zer Drammen" und ähnliches. Auf Baltrum
wird das Strandholz auch zur Einfriediguug der armseligen Gärten
gebraucht, was einen fast unheimlichen Eindruck macht; man denkt uu-
willkürlich an die armen Menschen, die das Holz umklammert haben
mögen!
Aus diesem schon sieht man, daß viele Bequemlichkeiten des Fest-
landes auf den Inseln fehlen (Nordernei und Borkum werden immer
mehr eine Ausnahme). „Mein Herr, Sie sind auf einem Eilande!"
das bekommt der Badegast sehr bald zu hören. Namentlich fehlen auch
die Handwerker; jeder Insulaner muß nach altdeutscher Weise alles
selbst oerstehen. Wenn der Badegast einen Schlüssel verliert, so muß
er das Schloß abnehmen und nach Norden oder Esens schicken, wo der
neue Schlüssel augefertigt wird. Ähnlich sieht es mit der ärztlichen
Hilfe aus. Die Insulaner Pflegen zu sagen: „Wir müssen gesunden
Herzens sterben!" Alljährlich geht ein Arzt hinüber, um die Impfung
zu besorgen; aber bei plötzlich auftretenden Krankheiten ist man hilflos.
Der Arzt muß erst über Watt von der fernen Stadt kommen, und
dabei kommen immer Flut, Wiud und Wetter in Betracht. Glücklicher-
weise ist der Insulaner im allgemeinen kerngesund; aber, wunderbar
geuug, trat vor einigen Jahren die Diphtheritis Plötzlich auf Baltrum
auf und verbreitete sich über die anderen Inseln. Auf Juist stand
mehrere Jahre ein ganzes Haus leer, in welchem damals sämtliche
Familienglieder, acht an der Zahl, der tückischen Krankheit erlagen.
Jetzt hat die Fürsorge unserer Regierung sämtliche Inseln mit tele-