1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder von der deutschen Küste.
Bewohner sich in dem geräuschvollen, vielseitigen Leben des Festlandes
nicht zurechtfinden. Freilich fehlt hier auch die unvergleichliche Luft und
der Eindruck einer gewaltigen Natur, die auch auf einfältige Gemüter
wirkt.
Die bekannteste unter allen Nordseeinseln ist Nordernei, wel-
ches schon durch seine sorgsam gepflegten Baumpflanzungen ein von den
übrigen Inseln abweichendes Äußeres hat und unter den deutschen
Seebädern das glänzendste ist, indem es durch die Annehmlichkeit seiner
Verbindung, durch die bequeme Landung, sowie durch seiuen Vorzug-
lichen Komfort in jeder Weise jährlich gegen 11 000 Fremde anzieht,
Ein neues Interesse hat es gewonnen durch die Einrichtung des größten
Kinderhospizes an der Nordsee, dessen segensreiche Kolonie sich an
der Seite des Dorfes ausbreitet und über 200 Kindern Raum gewährt.
Unter den übrigen Gebäuden ragen hervor die dem Strande nahe-
gelegenen Häuser der Bremer Baugefellfchaft, das Konversationshaus,
das Strandetablissement, die Kirche, eingeweiht am 11. Jnni 1879 (dem
Tage der goldenen Hochzeit Kaiser Wilhelms I. und seiner hohen Gemahlin),
mehrere Hotels, sowie Villen in der Nähe des Strandes. Eine vielbesuchte
Strandwirtschaft ist die sogen. „Giftbude", eine Bezeichnuug, die sich für
ähnliche Einrichtungen auch auf den anderen Inseln eingeschlichen hat. Be-
festigt ist die Insel nicht nur durch mehrere Buhnen, sondern außerdem
durch eine sehr kostbare Schutzmauer; die Nordwestecke mit ihrer durch große
Steinquadern bepauzerten Brust hat bereits schlimmen Stürmen getrotzt.
Die schönste Aussicht über das Meer mit seiner unvergleichlichen Herr-
lichkeit genießt der Fremde von der Georgs- und Marienhöhe. Die
Bevölkerung, etwa 2000, des wie eiu schmuckes Städtchen ohne Wagen-
geraffet — chaussierte Wege fehlen — sich ausnehmenden Dorfes liegt
im Winter dem Schellfischfang ob, während sie im Sommer ganz durch
die Fremden in Anspruch genommen wird.
Borkum hat unter den ostfriesischen Inseln das zweitgrößte See-
bad. Während die übrigen Inseln eine langgestreckte Form und somit
nur westöstlich liegende Dünen haben, zeigt der Hauptteil Borkums,
das Westland, eine ruudliche Form, so daß das^ Jnseldorf nach zwei
Seiten hin von Dünen umzogen ist. Borkum genießt den Vorzug einer
nicht durch Landwind berührten Seeluft und besitzt ein ausgedehntes
Wiesenland, dessen herrliches Gras ganz an den dunklen Rasen Eng-
lands erinnert. Die Sprache der Eingeborenen zeigt eine eigentümliche
Nüaneierung des Plattdeutschen, namentlich ein durchaus englisches „W"
im Anlaut. Ein Gang durch das Dorf bietet uns eine äußerst selt-
same Erscheiuuug, wie wir sie im deutscheu Vaterlande nicht wieder
finden: die Gärten sind statt mit Pfahlwerk mit den Rippen der größ-
ten aller Meerungeheuer, der Walfische, eingefaßt; selbst Lauben finden
wir aus diesem eigentümlichen Baumaterial, und bei Anwesenheit Ge-
orgs V. auf Borkum waren die Reste der Ungetüme sogar zu einer
stattlichen Ehrenpforte aufgetürmt. Der Anblick dieser seltsamen Stücke
versetzt uns um ein Jahrhundert zurück, in welcher Zeit die Borkumer
als kühn^ Walfischfänger die nordischen Meere aufsuchten, um dort