1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Helgoland.
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gleichsam immer neue Liebe zu ihrer heimatlichen Scholle zu ge-
Winnen. Hering.
3. Helgoland.
Grün ist das Land, rot ist der Strand,
Weiß ist der Sand; das sind die Farben von Helgoland.
So lautet der Spruch, welcher die Farben der Helgoländer Flaggen
erklärt. Der Fremde, welcher im schaukelnden Nachen vom Dampf-
schiffe, das ihn von Hamburg hergebracht, zum schmalen Vorland e
am Fuße des Felsens fährt, liest diesen Spruch an dem Spiegel mancher
vor Anker liegenden Boote, zwischen denen sein Fahrzeug hindurchgleitet.
Wir landen, und die Gruppen der neugierigen Einwohner und
Fremden umringen uns. Die frischen und blühenden Gesichter der
Weiber und Mädchen verraten den belebenden Einfluß der Seeluft, und
auf dem Antlitz der stämmigen, muskelkräftigen Männer hat mancher
Sturm feine Spuren eingegraben. Als Typus der norddeutschen See-
leute und Küstenbewohner erschien uus ein Mann, weniger durch seine
Größe, denn er war nur von mittlerer Statur und noch dazu durch das
Alter gebeugt, als vielmehr durch das fast in jugendlichem Feuer
strahlende Auge, durch die Kraft seiner Bewegungen, welche mit dem
schneeweißen Haupthaare und den tiefgefurchten, wettergebräunten Zügen,
die von mehr als einem Seeroman Kunde gaben, in Widerspruch zu
geraten schienen. Jens Petersen, von seinen Gefährten bezeichnend
genug der alte Grau genannt, war eine Persönlichkeit, welche nnwlder-
stehlich den Menschenkenner fesselt, und wir bedachten uns uicht einen
Augenblick, ihn zum Führer bei unfern Streifwegen durch die Insel
und auf dem Meere zu erwählen. Er kann als Muster gelten für
diesen kleinen ostfriesischen Menschenstamm, der, auf so einem Felsen
wie auf einem mitten im Meere versteinerten Schiffe lebend, in und
auf dem Wasser alles sieht und findet, was zu seiner Existenz erforder-
lich ist, bei welchem Piudars vielfach mißbrauchter Spruch: „das Vor-
nehmste aber ist das Wasser", in jedem Momente des Daseins zur
vollen und unmittelbarsten Wahrheit wird. Die Nächte nicht abge-
rechnet, hat unser Grau mehr als zwei Drittel seines Lebens in offenem
Boote auf dem Wasser verbracht; das Heulen des Sturmes, das Über-
stürzen der gepeitschten Wogen hat keinen Einfluß mehr auf seine ge-
stählten Nerven. Während wir dem raschen Alten mühsam folgend die
fast 300 Stufen hohe Treppe zum Felsen hinansteigen, erzählt er von
mancher Gewitternacht, manchem Schiffbruch; wir sehen ihn kämpfen
mit den sich türmenden Wogen, um einem entmasteten, hülflos aus
dem Wasser treibenden Fahrzeuge Rettung zu bringen. Mit Begeisterung
erzählt er von den Glanzzeiten Helgolands während der Kontinental-
sperre (wo die Franzosen allen Handel mit England verboten hatten
und von Helgoland aus ein freilich einträglicher, aber sittenverderbender
Schmuggelhaudel getrieben wurde), wo die' übermütigen Kaufmanns-
diener die Fischerbuben nach Speziesthalern und Goldstücken tauchen
ließen.