1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die Ostseeküste Deutschlands.
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in Mecklenburg und andere Orter erwarten sehnsüchtig jedes Jahr zahl-
reichen Besuch von Gästen ans dem Binnenlande, der ihnen eine in früheren
Zeiten nicht gekannte Quelle des Einkommens geöffnet hat. So 6untp
allerdings ist hier das Völkergemisch noch nicht wie das der Fremden,
welche in den Meeresbranduugen der Nordsee, z. B. bei Ostende
Schelleningen, Norderney, Helgoland, untertauchen und Gesundheit und
Lebensfrische aus den Wogen holen wollen.
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Während die Nordsee nicht selten mit furchtbaren Überschwemm-
uugeu in das Besitztum der Menschen einbricht und die Bewohner der
Küste zu unablässigem Ringen mit dem wilden Elemente zwingt, streckt
sich die Ostsee wie ein großer Binnensee friedlich hin; llom Ocean ent-
legen und durch die dänischen Inseln beinahe abgesperrt, bleibt sie vom
regelmäßigen Wechsel der Ebbe und Flut so gut wie unberührt, und
um ihr von Nordost nach Südwest gedehntes, buchtenreiches Meeres-
becken haben sich deshalb Städte und Dörfer in reichem Kranze herum-
gelegt, in sorgloser Sicherheit, denn nicht schützen Deiche den Anbau
und das Eigentum der Menschen.
Aber am 13. November 1872 zerriß eine Sturmflut, wie sie uoch
nie über diese Gewässer dahingegangen, den blühenden Kranz am Ge-
stade der Ostsee. Es mag immerhin nach mancher Ansicht ein unter-
irdischer Stoß wie bei einem Erdbeben die Waffer wild aufgewühlt
haben; sicher ist, daß ein heftiger Wind aus Westen das sonst abfließende
Wasser im Kattegat so wie in der Ostsee aufstaute, bis der am
12. November nach Nordost umspringende Sturm den vollen Wogen-
schwall mit um so größerer Wucht wieder zurückwarf. Der furchtbare
Nordost hielt 24 Stunden lang an und wuchs zum Orkau. So quoll
die hochgehende Waffermenge vom Finnischen und Rigaischen Meerbusen
her in südwestlicher Richtung vorwärts. Die Küste Gotlands nur
streifend, traf sie mit vollem Andränge Bornholm und andere dänische
Inseln, die Südspitze von Falster wurde sogar gänzlich überschwemmt;
dann verheerte sie die Insel Femarn und warf sich mit unwiderstehlicher
Gewalt auf die deutsche Küste und in die tief ins Land einschneidenden
Buchten hinein. Es war ein Schrecknis von unerhörter Furchtbarkeit;
das Wasser stieg mehr als 3 m über seine gewöhnliche Höhe und über-
traf den bisher bekannten höchsten Wasserstand von i694 um 60 cm,
den des Jahres 1836 um 67 cm. Wie entsetzlich die hochgeschwollene
See vordrang, beweist die Thatsache, daß die Stadt Oldenburg in Hol-
stein, welche zwei Stunden von der Ostsee entfernt liegt, noch von dem
Wasser erreicht und ein Haus in der Stadt sogar noch verwüstet wurde.
Niemand war auf eiu solches Naturereignis vorbereitet; denn wenn
auch alte Geschichtsbücher der Hansastädte von einer wilden Sturmflut
erzählen, welche 1304 die jetzige Insel Rügen von Pommern abriß, so
waren seitdem über 5 Jahrhunderte vergangen, und die Begebenheit
haftete nicht mehr in der Menschen Gedächtnis; so weit beglaubigte
geschichtliche Nachrichten reichen, hatte man von einem solchen Wüten