1874 -
Halle
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Masius, Hermann
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
16
Einleitung.
Mittlern, nördlichen und westlichen Europa zu neuen, größeren, aber heiligeren
Wanderungen; Byzanz öffnet ihnen die goldenen Thore, und vor den stau-
nenden Blicken steigt die glanzvolle Welt des Morgenlandes auf, mit sich
weiter und weiter in zauberische Fernen zu vertiefen. Mit jugendlicher Begier
wird da jede neue Kunde vernommen. Die Wunder der antiken Erdbeschrei
bnng gewiuuen frische Bedeutung: Homers Cyclopeu und Pygmäen, Hero
dots Arimaspen mischen sich mit den byzantinischen Erzählungen vom Magnet
berge und vom Lebermeer; eine ganze Märchengeographie entspinnt sich, und
doch wird man selbst in dieser krausen Lust des Fabulirens den lebendigen
Kern eines Interesses an Ländern und Völkern nicht verkennen dürfen, aus
dem in geklärteren Zeiten ein ernster forschender Trieb sich zu entwickeln
.vermochte. — Zwar minder glänzend, aber nicht minder wichtig war was
seit Beginn des dreizehnten Jahrhunderts ein Seitenzweig der Kreuzzüge an
der fernen Ostsee geschaffen. Denn hier begründet der deutsche Ritter,
gefolgt vom deutschen Ackerbauer, in neuen Staaten eine neue Cultur. Mit
ihnen verbindet sich das stolz aufstrebende Bürgerthum der Hansa, und
während beide die Welt des litthanischen Volks und der russischen Slaven
erschließen, sind die italienischen Seestädte in ausgedehnten Handelszügen
und Colonisationen unermüdlich beflissen, die Kenntniß des Orients für Süd-
europa festzuhalten und zu erweitern. Venedig und Genua, Pisa und Amalfi
stehen allen voran. Aus Venedig aber geht Marco Polo hervor, der
„Herodot des Mittelalters," der in viernndzwanzigjähriger Wanderung (1271
bis 1395) das ferne Ostasien durchzieht und die Länder der Mongolen,
Indien, China, selbst Japan zuerst dem Abendlande nahe bringt. Im Kerker
dietirt er als Kriegsgefangener seine Erinnerungen einen: Genossen, und rasch
verbreitet sich das merkwürdige Buch über ganz Europa. Aber ebenso rasch
folgen den Schritten des vielbegabten Mannes Wanderer aller Art und aller
Natioueu: Häudler, Mönche, Jäger, irrende Ritter; unter ihnen der Franzis-
kaner Oderieo von Pordenone (Oderich von Portenau), der Engländer John
Manndeville (Johannes von Montevilla), dessen phantastischer Reisebericht
Jahrhunderte hindurch gelesen worden, der päpstliche Legat Johannes Mari-
gnola, endlich schon nahe dem absinkenden Mittelalter der Tiroler Oswald von
Wolkenstein. Als zehnjähriger Knabe läuft derselbe in die Welt, „drey
Pfennig in dem pewtel und ain stucklin prvt," dann mit fünfundzwanzig
Jahren kehrt er zurück, grau, einäugig und sonnverbrannt, um nach kurzer
Rast abermals den bacchantischen Taumelzug zu beginnen, der ihn durch gauz
Europa und große Strecken Asiens und Afrikas führt (f1445). Inzwischen
können die wenigsten von all den Nachzüglern Marco Polos diesem selber
irgendwie verglichen werden. Sie sind Charaktergestalten ihrer Zeit, einer
chaotisch gährenden, fast nur im Reiz des Abenteuers befriedigten Zeit, wäh-