1874 -
Halle
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Masius, Hermann
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
76 Zur physischen Geographie.
Naturforscher Michael Sars näher bekannt geworden, dessen im Herbst
1869 erfolgter Tod ein großer Verlust sowohl für die Wissenschaft im All-
gemeinen, als auch im Besonderen für die Erforschung des Lebens in den
größeren Meerestiefen war. Sars, ursprünglich Pfarrer auf der Insel Manger
unweit Bergen, wurde später als Professor der Zoologie in Christiania an-
gestellt und galt in Europa bald mit Recht als die erste Zierde der norwegi-
schen Universität. In seinen letzten Lebensjahren wurde sein Interesse vor-
wiegend durch die wunderbaren Thierformen gefesselt, welche die schwarzen
Abgründe des Meeres zwischen den Felsenlabyrinthen der zerrissenen West-
küste Norwegens bewohnen. Die zahllosen, tief eingeschnittenen Buchten und
Fjorde, welche hier weit in das Land eindringen, die Myriaden von größeren
und kleineren Inseln, welche längs des zerfetzten Küstensaumes ausgesäet sind,
bieten der reichen Entwicklung des oceanischen Thierlebens ein außerordeut-
lich günstiges Feld. Viele von diesen malerischen Fjorden und Meerengen
sind, bei einer oft nur flußähnlichen Breite, von sehr beträchtlicher Tiefe. Das
Urgebirge, das an. der norwegischen Westküste ungemein steil 2000 — 5000
Fuß hoch aus dem Meeresspiegel aufsteigt, erstreckt sich daselbst oft ebenso tief
oder noch tiefer unter denselben hinab. An der Oberfläche erscheint das Wasser
in Folge der massenhaft einströmenden Gebirgsbäche schwach gesalzen oder fast
süß, und ist sehr arm an lebendigen Bewohnern. Die stark gesalzene Tiefe
dagegen wimmelt von niederen Thieren. Im Jahre 1868 gab Sars ein
Verzeichniß der wirbellosen Thiere, welche er an der norwegischen Küste in
einer Tiefe zwischen 1200 und 2700 Fuß gesammelt hatte. Dasselbe enthält
nicht weniger als 427 verschiedene Arten.
Mit besonderer Vorliebe wurde von Sars der Hardanger - Fjord unter-
sucht, jener berühmte Fjord, der mit den schönsten schweizerischen Alpenseen
wetteifert, und wegen seiner herrlichen Buchten und Gebirgsstöcke, seiner groß-
artigen Gletscher und Wasserfälle am meisten besucht wird. In seinen Ab-
gründen lebt die schöne und seltene Lima excavata, eine große Muschel mit
schneeweißer, zierlich gerippter Schale und elegant gefranztem Mantelrand.
Zu ihr gesellt, findet sich die vorher erwähnte Brisinga hendecacnemos, ein
prachtvoller und sehr merkwürdiger Seestern, der bis jetzt nur im Hardanger-
Fjord gefunden worden ist. Als ich im letzten August dort in der Nähe von
Utne fischte, hatte ich die Freude, ein lebendes Exemplar dieses Thieres,
unmittelbar nachdem es aus 1200 Fuß Tiefe heraufgezogen war, bewundern
zu können. Diese Brisinga hatte ungefähr eine Elle Durchmesser. Von einer
kleinen runden orangerothen Scheibe strahlen elf lange, sehr zierliche Arme
aus, welche 13—14 mal so lang sind als der Durchmesser der Scheibe.
Die Arme sind glänzend korallenroth mit perlfarbigen Rippen, und auf jeder
Seite mit einer dreifachen Reihe von langen Stacheln bewaffnet. Jeder Arm