1894 -
Weinheim (Baden)
: Ackermann
- Autor: Kleinschmidt, Arthur
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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genehm überrascht durch die feinen Manieren, das gebildete Benehmen
der Bewohner. Man bewirtet uns in ausgesucht höflicher, wohlthuender
Art und giebt auf alle Fragen, die wir stellen, die gründlichste Auskunft.
Diese liebenswerten Menschen sind, wie wir schnell herausfinden, nicht
nur wohlhabend, sie suhlen sich in der schönen Gegend, in ihrem länd-
lichen Stilllebeu auch so zufrieden und glücklich, wie der Mensch es über-
Haupt sein kann. Dem freundlichen Äußern der Häuser entspricht das
Innere; sie sind ungemein sauber gehalten, und deswegen haben auch
Krankheit und Elend keine Heimstätte in ihnen. Es sind kräftige, schöne
Leute, die hier der Erde ihren Unterhalt abringen; Männer wie Frauen
sind unermüdlich fleißig, glücklich im Kreise zahlreicher, gut erzogener
Kinder. Nüchternheit und streng sittlicher Lebenswandel zeichnet die
canadische Landbevölkerung ebenso vorteilhaft aus wie jene feine Sitte,
die man anderwärts nur in den Häusern der Gebildeten findet. Hier
schon lernen wir einen großen Unterschied zwischen den eanadischen Frauen
und den Frauen in den Vereinigten Staaten herausfinden; ein schrofferer
Gegensatz, als der zwischen ihnen bestehende, ist nicht leicht auszudenken.
In der Union sind die Frauen meist träge und lässig, sie wälzen dem
Manne alle Sorge für des Lebens Nahrung und Notdurft, ja, sogar
nicht selten für den Haushalt zu; sie liegen halbe Tage lang im Schaukel-
stuhl, mögen nicht einmal gern eine Treppe steigen, fahren oder reiten
spazieren, statt zu gehen, naschen Süßigkeiten in Menge und trinken
Limonaden, statt kräftige Nahrung zu sich nehmen; sie können Hitze
ebenso wenig wie Kälte ertragen, thnn aber auch nichts, um ihren Körper
zu stärken und widerstandsfähiger zu machen; all ihr Sinnen und Trachten
ist Abwechselung, Genuß, prickelnder Reiz, und infolge dieser thörichten
Lebensweise werden die unklugen Geschöpfe genau so ruhelos, aufgeregt
und nervös wie die Männerwelt. Wie ganz anders die Canadierin!
In ihrem ganzen Benehmen ruhig, einfach, anspruchslos, findet sie ihr
größtes Glück in ihrem Hause, im Schöße ihrer Familie; arbeitsam und
rührig von früh bis spät, Hilst sie dem Manne die Last des Lebens
wesentlich erleichtern; ihren Körper härtet sie ab gegen Regen, Sturm
und Kälte, und so dürfen wir uns denn nicht wundern, daß die meisten
Canadierinnen gesunde, kräftige, fchöne Frauen sind. Je mehr wir Land
und Leute kennen lernen, desto wohler fühlen wir uns hier, denn auch
die Männer zeichnen sich durch viele Vorzüge gegenüber dem Iankee aus.
Dieser stattliche, gesnnde, frische canadische Mann hat etwas Eigenartiges
an sich, das kaum so wiederzufinden sein dürfte. Seine Art zu reden
und zu handeln, seine Lebensführung, seine Weise, sich Vergnügen zu be-
reiten, erinnern an längst vergangene Zeiten mit patriarchalischen Ver-
hältnisfen; wir meinen oft, ein Stück der vielgerühmten „guten alten
Zeit" sei hier wieder lebendig geworden. Der Iankee hat wenig Liebens-
wertes in seinem Wesen; er ist ein rast- und ruheloser, zäher, dreidräh-
tiger, ungestümer Bursche, der nur eine Gottheit kennt: den klingenden
Dollar, ein Mensch, der in seinem Goldhunger auch vor den schlechtesten