1894 -
Weinheim (Baden)
: Ackermann
- Autor: Kleinschmidt, Arthur
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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In unruhigen Träumen, worin Gaunertum und Eisenbahnunfälle beständig
mit einander abwechseln, wälzen wir uns während der heißen Nacht auf
unserem Lager, gegen Morgen wenig erquickt erwachend.
Jetzt zur Eisenbahn in Hoboken! Rechtzeitig gelangen wir im
Bahnhof an und haben Zeit, uns das bunte Leben und Treiben,
sowie deu harrenden Zug noch etwas zu betrachten. Die Spurweite der
Schienen ist größer als daheim, die Wagen besitzen größere Breite und
wohl die doppelte Länge der nnsrigen. Beim Eintreten in einen Wagen
zweiter Klasse gewahren wir ferner, daß die Waggons auch höher und
zum Durchgehen eingerichtet sind. In keinem fehlt Ofen, Abort und
Trinkwasser.
Nun setzt sich die Lokomotive, ein gewaltiger Koloß, prustend und
keuchend in Bewegung, bereit, mit der schaufelähnlichen Vorrichtung an
ihrem Vorderteil jeden hindernden Gegenstand von den Schienen zu
schleudern. Von Bahnwärtern und Barrieren ist keine Spur zu entdecken.
Eine Glocke an der Lokomotive mahnt die Leute von Zeit zu Zeit, die
Schienenwege nicht zu betreten. Mit der Bequemlichkeit ist's auf den
meisten amerikanischen Bahnen durchaus nicht so weither, wie Großsprecher ,
ausschreien; die Aborte und das Vorhandensein des Trinkwassers sind
die einzigen Annehmlichkeiten, die sie vor unseren Bahnen voraushaben.
Was Heizung und Beleuchtung der Wagen, sowie die Möglichkeit, unter-
Wegs bequem zu schlafen, betrifft, so find wir den Amerikanern darin
sogar entschieden überlegen. Wir dürfen nicht einmal die Füße zum Ruhen
auflegen, und die zum Umklappen eingerichteten Sitze sind jetzt sogar
gesperrt, wodurch die Reifenden gezwungen werden, zu zwei und zwei in
den eugen Sitzreihen zu verharren und steif nach derselben Seite zu
blicken. Auch die Fahrgeschwindigkeit ist hier keineswegs so groß, wie
häusig mit hochtönenden Worten behauptet wird. Hören und Sehen
vergeht uns dabei durchaus nicht. Der sogenannte Expreßzng kommt
sicher nicht rascher vorwärts wie ein deutscher Schnellzug, und die gewöhn-
lichen Züge übertreffen unsere gemütlichen deutschen Bummelzüge höchstens
eine Kleinigkeit an Raschheit der Fahrt.
Nun hält der Zug an der ersten Station; pünktlich, wie er abfuhr,
läuft er ein, wartet genau die festgesetzte Zeit und dampft dann weiter.
Obwohl viele Paffagiere aus- und einsteigen, giebt es doch kein Geschrei
und Drängen auf dem Bahnhofe; jeder beachtet eben das amerikanische
Losungswort: „Hilf dir selbst!" und sucht sich feinen Platz in Ruhe und
Ordnung. Der Nachzügler wird unbarmherzig zurückgelassen, wenn er
es nicht vermag, noch während des Davonrollens auf eins der hohen
Trittbretter zu springen.
Unerquicklich ist die Nacht; von der Bequemlichkeit und den
unvergleichlich praktischen Einrichtungen, die auf sämtlichen amerikanischen
Bahnen zu finden sein sollen, bemerken wir wenig. Alle Plätze sind
besetzt, der Raum zwischen den Sitzreihen ist mit Gepäckstücken aller Art
vollgestopft. Mindestens viermal wechseln die Schaffner; wenn die neu-