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1. Bilder aus Amerika - S. 214

1894 - Weinheim (Baden) : Ackermann
— 214 — unsere Unruhe zu verscheuchen. In dunkler Nacht erklimmt der Zug die Höhen der Sierra Nevada, des kalifornischen Küstengebirges. Der Morgen kommt endlich herauf; sein mattes Licht zeigt uns, wie wir in stark ge- krümmten Bogen auf steilen Hängen zu den Vorhügeln hinabsansen; aus einem Schneetunnel gelangen wir in den anderen, eine starke Krüm- mung des Geleises reiht sich an die nächste. Eben jagen wir wieder durch einen Schneetunnel; da halten die Wagen plötzlich mit einem starken Ruck. Der Zug ist entgleist und bereits eine große Strecke neben den Schienen gelaufen. Ein Wunder ist's, daß er nicht in die gähnende Tiefe zur Liuken stürzte, alles hinabreißend ins Verderben. Ein Wagen ist seitwärts geschleudert, vier andere sind entgleist; die auf deu Schienen gebliebene Lokomotive dampft bereits ab, um Hilfe zu holen. Bald kehrt sie mit einer anderen auf eiuem Nebengeleise zurück, chinesische Arbeiter und Wiudeu mitbringend. Sechs Stunden harter Arbeit — dann geht es mit echt amerikanischem Leichtsinn in noch tollerem Jagen den Abhang hinab nach Sacramento. Dort verbringen wir eine grauenvolle Nacht im Gasthause, deun die Moskitos zerstechen nns, durch kein Netz zurück- gehalten, entsetzlich. Das Klima ist hier auffallend heiß, sodaß sogar Palmen gedeihen. Deutsche Laudsleute, meist Schwaben und Schweizer, wohnen in beträchtlicher Anzahl in Sacramento. Am auffallendsten sind uns unter deu Bewohnern die vielen Chinesen. In einer Straße sehen wir die langbezopften Söhne des himmlischen Reiches in solcher Menge, daß wir uns in ihre ferne Heimat versetzt glanben könnten. Bald lernen wir die Stellung und Bedeutung dieser Mongolen im Süden und Westen der Union, wo sie in großer Anzahl vorkommen, kennen. Durch den großen Krieg zwischen den Nord- und Südstaaten wurde die Sklaverei der Neger ausgehoben. Wie die Schwarzen die Freiheit be- nutzen, haben wir schon gesehen. Der Mangel an Arbeitskräften brachte die Plantagenbesitzer auf deu Gedanken, chinesische Arbeiter, sogenannte Kulis, einzuführen. Und siehe da, „John Chinamann", wie der Amerikaner den Chinesen nennt, bewährte sich als Arbeiter vortrefflich. Die gelb- häutigeu Einwanderer gehören im „Blumenreich der Mitte" natürlich den niedrigsten Klassen an, und so bringen sie denn außerordentlich wenig Lebensansprüche mit. Von daheim an eine Lebensweise gewöhnt, bei der der anspruchsvolle amerikanische Arbeiter überhaupt nicht bestehen kann und will, und ihre heimatlichen Gewohnheiten treulich beibehaltend, kom- men viele von ihnen schnell zu Wohlstand. Man glanbt nicht, wie an- stellig und geschickt der schlitzäugige Bursche ist, der in kürzester Zeit alles erlernt und obendrein seine Künste für so geringen Lohn übt, daß der weiße Mann von vornherein darauf verzichten muß, überhaupt mit ihm in Wettbewerb zu treten. John Chinamann kocht, er wäscht, er putzt, macht Kleider und Schuhe, arbeitet in den Druckereien — kurz, er ist ein Tausendsasa, den man zu allem gebraucheu kann, ein richtiges „Mäd- chen für alles." Die Wäscherei befindet sich hier im Westen wie in anderen Teilen der Union sast ganz in den Händen der Chinesen und
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