1894 -
Weinheim (Baden)
: Ackermann
- Autor: Kleinschmidt, Arthur
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bevölkerung bisher aus Brasilien gemacht? Man merkt ihre Tätigkeit
kaum, denn sie ist träge und gleichgültig, und die paar Millionen weißer
Brasilianer können den ungeheuren Raum auch niemals mit ihrer Volks-
kraft ausfüllen. Der Fluch des Landes ist eben, daß die Bevölkerung aus
einem lächerlichen Gemisch von Menschen aller Farben besteht; die gemein-
same Abstammung, der einheitliche Charakter fehlt vollständig. Der fünfte
Teil der etwa 15 Millionen ist nicht gemischter Abstammung; die übrigen
vier Fünftel sind teils M amelncos (Mestizen, Abkömmlinge von Weißen
und Indianern) und Zambos oder Cafnzos (Nachkommen von Negern
und Indianern); dazwischen finden wir aber zahllose Mischlinge dieser Misch-
linge. Und welcher Unterschied in Wesen und Lebensgewohnheiten dieser
so verschiedenfarbigen Menschen! Da ist der verworfene Cafuzo, der an
Schlechtigkeit kaum irgendwo seinesgleichen hat; da begegnen wir den sinn-
lichen, arbeitsscheuen, dem Spiel und Trunk ergebenen, verschlagenen, hinter-
listigen Mulatten, unter denen sich allerdings zuweilen auch Leute von hoher
geistiger Begabung und trefflicher Bildung befinden. Etwas über den
Mulatten stehen die zahlreichen, von den Weißen kaum zu unterscheidenden
Mamelncos; ihr Charakter ist besser, als derjenige der schon genannten Misch-
finge, aber sie haben leider den Stumpssiun und die Trägheit der Indianer ge-
erbt. Die Mehrzahl der übrigen Brasilianer zeichnet sich durch kleine,
hagere Gestalt, gelbliche Gesichtsfarbe und eiue gewiffe Schlaffheit der Bewe-
gungen aus. Nur in Mittelbrasilien aus dem Hochlande und im Süden
der Republik sind viele kräftige Leute anzutreffen; da bewundern wir schöne
Fraueu von stattlicher Gestalt und mit blühender Gesichtsfarbe, mit dunkeln,
blitzenden Augen und anmutigen Bewegungen. So tritt uns auch die
Bevölkerung von Rio de Janeiro entgegen, die sich in Bezug auf Umgangs-
formen und Kleidung den Pariser zum Vorbild genommen hat. Die
Lebensweise ist auch bei deu Vornehmen sehr einfach; wie in Hinsicht auf
die Wohuuug, fo ist der Brasilianer auch in seinen Ansprüchen an Speise
und Trank sehr bescheiden, ja, die Trunksucht ist ihm ein Greuel. Gast-
freuudfchaft wird gern geübt, und die Kinder zeigen hohe Achtung vor den
Eltern; auch der verheiratete Sohn raucht in Gegenwart von Vater und
Mutter z. B. nur, wenn er von ihnen dazu aufgefordert wird. Im
Familienleben herrscht viel Gemütlichkeit, ein herzlicher, fröhlicher Ton,
aber das Gefellfchaftsleben ist um so fader, steifer und langweiliger. Auf
den häufigen Privatbällen wird großer Aufwand entfaltet, namentlich
schimmern und strahlen die Damen von Diamantenschmuck. Eine äußerst
sonderbare Sitte fällt uns häufig auf; Söhne derselben Eltern führen oft
ganz verschiedene Familiennamen, oder Familiennamen, die schon lange ge-
führt wurden, werden plötzlich umgeändert, was man einfach durch die
Zeitung bekannt macht. An regelmäßiger Arbeit findet der Brasilianer
gar keine Freude; dem Weißen erscheint es z. B. als eine Schande, ein
Handwerk zu erlernen. Dazu kommt noch eine ausfallende Unzuverlässig-
keit und eine Bestechlichkeit, die Staatsverwaltung wie Justiz in empfind-
lichster Weise schädigt; ein ehrlicher Beamter ist eine Seltenheit. Schwere