1894 -
Weinheim (Baden)
: Ackermann
- Autor: Kleinschmidt, Arthur
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
— 365 —
unbändiger Tiere in Ordnung zu halten. Die Männer haben unablässig
mit den Wurfschlingen und den langen, lanzenähnlichen Stachelstöcken zu
thutt, um die zornigen Stiere am Ausbrechen zu hindern. Die Leute sehen
daher sümmtlich erschöpft und bestaubt aus, einzelne sind sogar mit Blut
bedeckt; die matten Pferde vermögen die ausbrechenden Flüchtlinge nur mit
Aufbietung ihrer letzten Kräfte einzuholen, und die Hilfe der jungen vor-
nehmen Herrn kommt daher fehr erwünscht.
Ist das ein buntes, lebendiges Bild! Wie toben und brüllen die
unbändigen Wildlinge! Sie scheinen um so ungebärdiger und widerspenstiger
zu werden, je näher sie der verhängnisvollen Umzäunung kommen. Wie
behend und sicher jagen die tollkühnen Reiter um die Herde, ihre Tiere
mit gellendem Zurufe anfeuernd und die fluchtbereiteu Stiere mit demselben
Rufe schreckend! Wie wunderbar sicher schleudern sie den Lasso, diese
von allen Tieren Chiles so genau gekannte und so sehr gefürchtete Waffe!
Und wie sehr fühlen sich die jungen vornehmen Männer in ihrem Ele-
meut! Wie gern verrichten sie ihre in jenen Gegenden allgemein für
ritterlich geltende Arbeit, die ihnen bei nns vielleicht den Spottnamen „Vieh-
treiber" eintragen würde! Einer scheint den anderen in freudigem Eifer,
in kühnen Reiterkünsten, in geschicktem Gebrauche des Lasso übertreffen zu
wolleu! Aller Augeu glüheu in wilder Lust. Ebeu bricht dort eiuer der
wildeu Stiere aus! Im Nu wirbelt ein Lasso und legt sich um den
Hinterschenkel des Flüchtlings, iiu gleichen Augenblicke bäumt das wohlab-
gerichtete Pferd hoch auf und bleibt straff auf derselben Stelle stehen, mit
den Hinterschenkeln fast den Boden berührend. Ein Ruck am Lasso —
und der flüchtige Stier stürzt hilflos zu Boden. Wenige Minuten später
ist das umschnürte Bein an ein Horn des Wildlings gebunden und das
starke Geschöpf infolge davon vollständig ohnmächtig.
Die Fluchtversuche der Tiere nehmen jetzt immer mehr zu, da die
meisten von ihnen den bereits deutlich sichtbaren Corral von früher her gut
genug kennen. Einer der Reiter wird mit seinem Pferde von einem aus-
gebrocheneu Stiere niedergeworfen; wilde Schreckensrufe ertönen, denn der
Mann fchwebt, nur durch den Leib seines treuen Rosses gedeckt, in größter
Lebensgefahr. Da stiebt ein anderer herzu; im Nu wendet sich das rasende
Untier gegen ihn und reißt seinem Pferde mit einem einzigen, gewaltigen
Stoße der kurzen, aber spitzen Hörner den Leib auf. Doch der Reiter hat
sich behend abgeschwungen, gewandt stößt er dem Ungetüm sein langes
Messer ius Herz, daß es blitzschnell mit dumpsem Röcheln zusammenbricht.
Nun ist die Herde in den Corral eingetrieben; man wählt das Schlacht-
Vieh aus, schickt die zugelauseueu Tiere ihren rechtmäßigen Herren zu und
brennt den Kälbern den Namenszug des Seunor Osorio ein. Dann wird
die Umzäunung wieder geöffnet, aber die Rinder betrachten das Thor mit
unverkennbarem Mißtrauen. Endlich treten einige der kecksten Stiere hinaus,
sehen sich argwöhnisch um, brüllen zornig, stampfen den Boden, senken den
Kops und stieben gleich daraus mit hochgehobenen Schwänzen in rasendem
Lause der sernen Cordillera zu. Nun hetzen die übrigen Tiere wie besessen