1894 -
Weinheim (Baden)
: Ackermann
- Autor: Kleinschmidt, Arthur
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Und wie freundlich, wie liebenswert benehmen sich die Chilenen,
vornehm und gering, gegen den Fremdling! Manche unter ihnen erinnern
schon durch ihr Äußeres daran, daß sie mit den indianischen Ureinwohnern
in Verwandtschaft stehen; aber sie sind nicht weniger klug, nicht weniger
mutig, als die Abkömmliuge der Europäer, und anch in Hinsicht auf
körperliche Eigentümlichkeiten stehen sie denselben nicht nach; die Frauen
und Mädchen zeichnen sich z. B. durch überaus zierliche Häude und Füße
aus. Einen Neger treffen wir kaum ab und zu einmal ganz vereinzelt.
Jenes Mischlingsgelichter, das ein Fluch für die übrigen Staaten Süd-
amerikas ist, fehlt in Chile. Auffallend ist es, daß man nur zwei Stände
in der ganzen Republik antrifft: Arme und Reiche; der Mittelstand, dessen
Bedeutung für ein Staatswesen so außerordentlich groß ist, fehlt leider
noch, oder ist wenigstens noch nicht zahlreich genug.
Ebenso auffallend ist der Volkscharakter, der scharf gegen denjenigen
in anderen Ländern Südamerikas absticht. Welcher Gegensatz z. B. zwi-
schen dem Argentiner und dem Chilenen! Welcher noch viel krassere
zwischen einem Aankee (Abkömmling der Engländer in den Vereinigten
Staaten) und dem Sohne dieses gesegneten Landes in Südamerika! Der
Chilene zeichnet sich durch eine ganze Anzahl von Tugenden aus, die
man sonst außerordentlich selten in solcher Vereinigung findet. Es übt
schon einen günstigen Einfluß aus, daß er in unbeschränkter persönlicher
Freiheit auswächst; aber er wird dadurch nicht brutal und rücksichtslos wie
der Abkömmling der Engländer in den Vereinigten Staaten — im Gegen-
teil. Wie anständig und höflich tritt uns jedermaun entgegen! Wie be-
neidenswert einfach sind diese natürlichen Menschen, von Bedürfnissen,
deren Befriedigung anderwärts als unbedingt notwendig angesehen wird,
vollkommen unabhängig! Wie aufopfernd gefällig erweisen sie sich, wenn
man ihres Rates oder ihrer Hilfe bedarf! Wie nachsichtig, wie gastfreundlich
benimmt man sich namentlich gegen den Fremden! In dem Bestreben,
möglichst artig zu sein, gebraucht der Chilene allerdings manche höflich
übertreibende Redensart, und es würde ihm selber unangenehm sein, wenn
wir dieselbe wörtlich nehmen wollten. Er würde dann zur Leistung von
Diensten veranlaßt werden, die er trotz aller Artigkeit und Gefälligkeit
nur ungern erweisen würde, so wenn er nach Landesart sagt „Zu Ihrer
Verfügung". Aber wir gewöhnen uns bald daran, derartige Redensarten
nicht so aufzufassen, wie sie dem Wortlaute uach zu verstehen sein könnten.
Immer aber berührt uns die ausnehmend feine Form, mit der man uns
begegnet, ungemein angenehm.
In Handel und Wandel erweisen sich die Chilenen rührig, schlau,
bedächtig und selbstsüchtig, was z. B. beim Verkehr mit den wilden Arau-
canern zur Folge hatte, daß diese eine üble Meinung von der Redlichkeit
und Zuverlässigkeit der chilenischen Händler bekamen. Daher kaufen diese
Natursöhne gegenwärtig am liebsten bei den Deutschen, weil sie von die-
sen weniger übervorteilt werden. Wenn wir aufmerksam beobachten, er-
kennen wir bald, daß der Chilene kein weitausschauender Kaufmann ist;