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1. Die außerdeutschen Länder Europas - S. 155

1914 - Langensalza : Beltz
X. Das Kaiserreich Rußland. 155 fortwährend. Daher werden in einem einförmigen Flachlande die Menschen einander ähnlicher. In den abgeschlossenen Tälem der Gebirge werden die Menschen sich unähnlicher. Da reden die Bewohner eines jeden Haupttales anders und tragen sich anders. In Rußland ist das nicht so geworden. Dennoch gibt es auch hier viele verschiedene Völker und Volksstämme. Mindestens 30 größere Volksstämme leben auf diesem Raume; man kann aber leicht 100 auf- zählen, wenn man die kleinsten auch mitrechnet. Von Asien her sind im Laufe der Zeit immer neue Volksstämme eingewandert. Sie kamen meistens durch das breite Völkertor zwischen dem Uralgebirge und dem Kaspisee gewandert. Viele von ihnen haben sich nach und nach mit andern vermischt; manche haben sich so ganz verloren. Ein Stamm hat nun die Oberhand gewonnen und die Herrschaft über das weite Reich errungen. Das sind die Russe n. Sie wohnten ursprünglich am Dnjepr und in den: Gebiete nördlich davon bis zum Ladogasee. Kiew war die Hauptstadt, die andere war Groß-Nowgorod am Jlmensee. Nach und nach dehnten sie sich weiter aus. Dann ward Moskau ihre Hauptstadt und blieb es auch lange Zeit. Die Russen zählen zusammen über 90 Mill. und zerfallen in zwei Haupt- stämme, in nördliche und südliche. Die nördlichen Russen heißen Groß- r u s s e n. Sie nehmen das ganze Mittelrußland ein und haben sich nun auch weithin über den Norden und Osten ausgebreitet. Sie finden sich jetzt überall im ganzen Reiche, denn sie sind ja der herrschende Stamm, die eigentlichen Russen. Es gibt ungefähr 60 Mill. Großrussen, also gerade soviel Großrussen als Deutsche im Deutschen Reiche. Die Großrussen unterscheiden sich unter- einander fast gar nicht. Sie haben gleiche Körper- und Gesichtsbildung, sprechen eine und dieselbe Sprache und kleiden sich ganz in gleicher Weise. Wer zum ersten Male Großrussen aus Petersburg, Moskau und Nowgorod sieht und hört, der bemerkt kaum einen Unterschied. Die Großrussen sind nicht groß, sondern haben einen gedrungenen Körper; ihr Gesicht erscheint grob und rot; das Haupt- und Barthaar ist hell. Die Nase ist stumpf, das Gesicht oft platt. Die Backenknochen stehen häufig vor. Sie heißen Großrussen, nicht weil sie groß sind, sondern weil sie dem großen Stamme der nördlichen Russen angehören. Die Großrussen sind heiter und sorglos und singen daher oft. Ein lustiges Leben gefällt ihnen mehr als strenge, emsige Arbeit. Dabei fügen sie sich geduldig auch ins größte Ungemach. Haben sie etwas, dann machen sie Lebeschön; haben sie nichts, dann darben sie eben. Sparen und zurücklegen für die Zeit der Not, das ist nicht nach ihrem Sinn. Aber sie hängen an ihrer Familie, sind gegen Arme und Unglück- liche wohl- und mildtätig; doch können sie auch hart, roh und grausam sein, namentlich im Zorn und im Streite. Sehr gastfrei sind sie gegen die eigenen Volksgenossen, wie auch gegen Fremde. Im Kriege geben sie tapfere Soldaten ab; da scheuen sie im Notfälle weder Entbehrungen noch Anstrengungen. Sonst huldigen sie gern der Genußsucht, der Habsucht,' der Trunksucht und Unreinlich- keit. Der Diebstahl ist recht verbreitet unter ihnen. Die Beamten sind sehr unredlich, sie nehmen mehr, als es sich gebührt, sie lassen sich bestechen, sie be- drohen sogar, um Geld zu erpressen. Dabei heißt es in aller Gemütsruhe: Der Himmel ist hoch, und der Zar ist weit; d. h. Der Himmel ist so hoch, daß er unsre Schandtaten nicht sieht; der Zar ist so weit, daß uns sein rächender und stra- fender Arm nicht erreicht. Da wir straflos bleiben, können wir es uns erlauben, unredlich zu sein. Der Staat ist selbst mit schuld, denn er gibt den Beamten einen viel zu kärglichen Lohn. Die Großrussen betrinken sich von Zeit zu Zeit. Sie können wochenlang völlig nüchtern sein, dann müssen sie aber trinken und
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