1914 -
Langensalza
: Beltz
- Autor: Kubbe, Karl
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die Heimat in kindlicher Auffassung.
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56. Die Geschichte vom kleinen Maibaum.
Da war mal ein ganz Kleiner Maibaum. Oer stand in einem Kleinen
Walde. Wie ein Kleiner König stand er da. Er hatte nämlich einen seinen
Platz auf einem Kleinen Berge, von da Konnte er alle Bäume sehen und'
war viel größer als sie. Und was für liebe freunde er hatte! Da waren
die lieben, bunten Blumen und seine Kameraden, die andern Bäumchen.
Sie erzählten sich gern etwas mit dem schmucken Maibaum, der so schön
aussah mit seinem weißen 5tamm und seinen grünen Blättern. Wenn es
dann Abend wurde, dann kamen noch die andern Nachbarn. Und alle saßen
gern ein Weilchen zusammen. Da waren die klugen braunen Rehe, die
oft zu ihrem Freunde, dem kleinen Maibaum kamen. Mit einer langen
pfeife im Munde und mit schönen Hausschuhen erschien auch wohl Herr
Hase, der immer so schöne Lügengeschichten wußte. Der wollte sich seinen
Röhl ansehen, den er neben dem Maibaum gepflanzt hatte. Kam dann ein-
mal der Jäger mit seiner Flinte und seinen beiden Hunden, so hatte ihn das
Maibäumchen von seinem hohen Platze aus schon längst gesehen und sagte
das den Rehen und dem Hasen, hei, wie schnell dann die raschen Gesellen
fortrannten! Und wenn dann der Jäger schießen wollte, war keiner
mehr da.
Eines schönen Tages kamen Männer in den Wald, die hatten einen
großen Wagen bei sich, vor dem waren zwei starke Pferde gespannt. Was
war denn das? Auf dem Wagen lagen ja viele Maibäume. Da nahm
ein Mann eine große Säge und sägte einen kleinen Maibaum ab. Rch,
wenn dir das nur nicht passiert, dachte unser Freund. Doch — o Schreck,
jetzt kamen die Leute gerade auf ihn zu. Die Säge wurde angesetzt, und
ihre Zähne drangen dem kleinen Maibaum tief ins Fleisch. (D, wie weh
das tat! Und wie bitterlich weinte der Baum! Kls man ihn abgesägt
hatte, packte ihn ein Mann mit starker Hand und warf ihn mit voller
Wucht auf den Wagen. Da lagen schon viele Bekannte von unserm kleinen
Maibaum.
Kls die Leute genug Bäume abgesägt hatten, fuhren sie mit ihnen
fort. Ganz weit ging die Reise. Ach, was der Maibaum da alles sah !
Er war ja noch nie aus seinem Walde herausgekommen. Zuerst fuhren die
Männer durch mehrere Dörfer. Wie staunte der kleine Maibaum die
Häuser der Menschen an! Wie hoch waren doch die Kirchtürme, die er immer
nur aus weiter Ferne gesehen hatte! Endlich sahen sie vor sich eine große
Menge Häuser liegen. Das war die Stadt. Jetzt fuhren sie in die engen
Straßen hinein. (D, wie bange wurde hier dem kleinen Maibaum, als er
zu allen Seiten die hohen dunklen Häuser erblickte. In diese ging der eine
Mann hinein und rief: ,,Kauft Maien, schöne grüne pfingstmaien!" Dann
kamen die Leute heraus, die da wohnten und kauften die kleinen Mai-
bäume.
Da kam ein dicker Mann, der besah sich die Bäume genau. Dann
kaufte er unsern kleinen Freund und noch einen seiner Kameraden. Er
nahm sie beide unter den 5lrm und ging damit von dannen. Nachdem
er ein Weilchen gegangen war, bog er in eine große breite Straße ein.
vor einem hohen Hause blieb er stehen. Dann ging er mit den beiden