1891 -
Leipzig
: Hinrichs
- Autor: Buchholz, Paul
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
18 Das Nilthal.
unverrückbarer Folge nimmt nun diese Schwellung derart zu,
daß um die Mitte August der Fluß in Ägypten seine Ufer über-
schreitet und allmählich das ganze Thal bis zum Fuße der fernen
Berge hin überflutet. Bald ist das Festland verschwunden; nur
die langen, vielgebrochenen Dämme, nur die Städte und Dörfer
auf ihnen tauchen im Schmncke der Palmen und Minarets aus
der nebelhauchenden Fläche. Ein ebenso reizendes als groß-
artiges Bild! Denn was man sieht, das ist kein Fluß, kein
See, sondern ein Meer, und Hunderte kleiner Inseln blitzen
daraus auf, sodaß einst Herodot bei diesem Anblicke sich in den
heimatlichen Archipel versetzt wähnte. — c) Aber nach wenigen
Wochen treten einzelne hochgelegene Punkte wieder aus dem
Spiegel hervor, und bald streut der Fellah die Saat über den
aufgelösten Boden, in den sie rasch versinkt. Er hat damit für
die Haupternte seine Arbeit gethan. Nicht einmal Furchen
braucht er zu ziehen; höchstens daß er seine Ziegenherde darüber
hintreibt und die Körner tiefer eintreten läßt. Alles andere der
Sonne und dem Nil anheimgebend, kehrt er erst wieder, wenn
die Halme unter der Last der Körner zur Erde sinken, um nun
mit der kurzen, sägeartigen Sichel sie abzuschneiden, aber auch
sogleich eine zweite Aussaat vorzubereiten. In dieser Periode,
gleich als hätten die Jahreszeiten sich verkehrt, entfaltet die
Natur Ägyptens ihre üppigste Pracht. Die Frische, die Kraft,
die Überfülle der Vegetation übertrifft alles, was man in den
gepriefensten Gegenden Europas bewundert. Das ganze Nilthal
ist eine Prärie voll Ähren und Blüten; berauschend wogen die
Düste der Orangen und Mimosen, der Jonquillen, Lupinen und
alle der süßen Kleearten, und über dieser gesegneten Erde wölbt
sich in unbeschreiblicher Klarheit das Himmelszelt, wolkenlos bei
Tag und wolkenlos bei Nacht; aber im Älher funkeln nah und
groß die Sterne. Inzwischen fällt der Strom, der dieses Wunder
schafft, mit jeder Woche. Nur aus dem Brunnen oder aus
sparender Zisterne lenkt jetzt der Ägypter das Wasser von einer
Furche des Ackers zur andern. Dort steht er an der Schöpf-
grübe, schutzlos der Sonne preisgegeben, und hebt aus der Tiefe
den Eimer; über ihm steht ein Zweiter, wohl ein Dritter, die
kostbare Spende von Hand zu Hand reichend, bis sie sich endlich
über die Scholle ergießt. Der Begüterte nimmt das Kamel oder
deil Stier zu Hilse und baut sich ein Sahkieh: ein auf- und
absteigendes Werk mit Thonkrügen, die sich füllen und leeren.