1900 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Richter, Julius Wilhelm Otto
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die wirtschaftlichen Verhältnisse. 93
Vielfach sind an dem Zuckerrübenanbau jetzt außer den Besitzern und Aktiv-
nären der Fabriken auch noch viele andre, meist kleinere Grundbesitzer beteiligt,
welche für ihre Rübenfrucht gute Bezahlung erhalten, die für die höheren Kultur-
kosten des Bodens ziemlich reichlich entschädigt. Ans den Rückständen der Rüben
bei der Zuckerfabrikation, wie auch aus dem Rübenkraute, beide auf lange Zeit
konservierbar, ergeben sich dann aber noch höchst nutzbare Futterstoffe, die zur Hebung
der Viehzucht, namentlich der Rinderzucht, führten, und der weit intensiver bearbeitete
und gepflegte Boden vermag nach der Zuckerrübe oder abwechselnd mit derselben
an Getreide und Kartoffeln' weit reichere Erträge zu liefern als früher. In der
preußischen Provinz Sachsen, in Anhalt und Braunschweig, sowie an einzelnen Punkren
andrer Gegenden ist durch diese Verhältnisse eine ganz erstaunliche Steigerung der
Bodenwerte herbeigeführt worden, welche freilich bei Eintreten der Zuckerknsis seit
1883 einen Rückschlag unvermeidlich machte. Solide landwirtschaftliche Betriebe in
den erwähnten Gegenden haben die Notlage bisher glücklich überstanden.
Die Branntweinbrennerei verhilft der Landwirtschaft dazu, daß sie
einen Teil ihrer Früchte, nämlich Roggen und Kartoffeln, mit gutem Gewinne
verwenden kann. Besonders wird die Kartoffel, deren ausgedehnten Anbau
wir früher (§ 3) hervorgehoben haben, für die Brennerei verwendet, und
es wird dabei zugleich ein nutzbares Futter für die Viehzucht (besonders
Rinder- und Schweinezucht) gewonnen.
Zu bemerken ist freilich, daß seit 1861 die Zahl der Brennereien stetig ab-
genommen hat, indem die kleineren derselben nicht mehr recht mit den größeren
konkurrieren können.
Der Wirtschaftsbetrieb ist bei kleinen Grundbesitzern noch jetzt meist in
erster Linie von der persönlichen Arbeitskraft derselben abhängig, und ihnen
tritt dann oft die ganze Familie zu angestrengtester Thätigkeit zur Seite. Der
so erzielte Gewinn gewährt im besten Falle ein notdürftiges Auskommen.
Etwa 2v3 Millionen Betriebe sind dieser Art, und namentlich in Süddeutsch-
laud finden sich dieselben zahlreich (vgl. § 5). Schon etwas günstiger stehen
diejenigen kleinen Grundbesitzer, welche einen, wenngleich nicht bedeutenden
Stand von Rindvieh haben, das ihnen neben fortlaufenden Einnahmen (durch
Milch und Butter) Zugdienste an Pflug und Wagen zu leisten vermag; die
Zahl solcher Besitzer ist ebenfalls ziemlich groß, denn sie macht etwa 2/5 von
allen aus. Erst wo der Betrieb der Wirtschaft mit Pferden geschieht, pflegt
derselbe ein gewinnreicherer zu werdeu, zumal weuu diesen Zugtieren anch
sonstiges Nutzvieh, besonders Ochsen, zur Seite tritt. In diesem Falle macht
sich aber sofort das dringende Bedürfnis nach Dienstpersonal geltend, welches
den Betrieb bedeutend verteuert. Ausgedehntere Wirtschaften haben natürlich
ein ziemlich zahlreiches Personal nötig, doch befinden sich uuter deu fast eiue
Million Besitzern mit Pferde- und Rindviehbestand immerhin noch viele, die sich
mit einzelnen Dienstleuten einzurichten vermögen. Die landwirtschaftliche
Arbeiterbevölkerung nnn, anf welche wir hier geführt werdeu, zerfällt in
eine stetige und in eine wechselnde. Schon bei kleinen Gütern findet sich
die Einrichtung, daß außer eiueiu Bestaude von Mägden, die im Hanse und in
den Ställen Verweuduug erhalten, mehrere Knechte vorhanden sind, die die
Bedienung der Gespanue vor Pslug und Wagen übernehmen. Außer diesen
Personen, die mehr oder weuiger im Gutshause selbst Unterkunft erhalten,
haben größere Güter meist noch in besonderen Häuschen Familienwohnungen
eingerichtet, welche von ständigen Arbeitern der Besitzung bewohnt werden.