1887 -
Münster i.W.
: Schöningh
- Autor: Treuge, Julius, Hellinghaus, Otto
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Rohlfs: Audienz bei dem Negus Regesti tarn Abessinien. 157
breiten Seidenborten in wundervollen Farben durchflochten ist. Kops
und Gesicht staken ebenfalls, Augen und Stirn ausgenommen, in der
Umhüllung. Aber durch das seine Gewebe des Marges bemerkte man
sein uach kriegerischer Art geflochtenes Haar, aus welchem eiue reizende
Goldfiligrannadel hervorlugte.
Wir verbeugten uus ties, worauf der Negus uns näher zu sich her-
anwinkle, seine Hand aus der Umhüllung hervorlangte und, die meine
schüttelnd, uns ein herzliches Willkommen entbot. Bei dieser Audienz
waren nur zugegen der Budjurun-Lauti (Generalschatzmeister oder Fiuauz-
minister) und mein Begleiter Dr. Stecker und Ngdaschit Schimper (als
Dolmetsch). Der Negus erkundigte sich nach der Gesundheit des Kaisers,
des kaiserlichen Hauses, des Fürsten Bismarck und des deutschen Heeres.
Als ich darauf zufriedenstellend antwortete und aus meine Frage nach
der Gesundheit des Negus und seines Heeres ebenfalls gnte Antwort
erhielt, meinte der Negus, daß wir, vou der langen Reise ermüdet, es
wohl vorzögen, uns zurückzuziehen; unser Balderaba x) sei der Budjuruu-
Lauti. Von diesem geführt, verließen wir die Wohnung des Negus.
Während der Audienz donnerten der Gesandtschaft zu Ehren die Kanonen.
Am folgenden Tage sollte die eigentliche feierliche Audienz, die Über-
reichung des kaiserlichen Schreibens, sowie die Übergabe meiner Geschenke
vor sich gehen. Früh zogen wir daher unsere besten Kleider an, ließen
unsere Maultiere besonders schön satteln, und um 8 Uhr morgens, von
unserm Balderaba, dem Bndjurun-Lanti, abgeholt, ritten wir, begleitet
von einer Zahl unserer Diener, welche bewaffnet waren, während andere
die Geschenke trugen, nach der kaiserlichen Residenz hinaus.
Der Negus emfing mich mit demselben Ceremoniell, wie tags zuvorv
nur diesmal in Gegenwart des Etschege (zu der Zeit der oberste Geist-
liche Abessiniens). Von allen Abtzssiniern darf der Etschege allein sich
in Gegenwart des Kaisers setzen, ohne speeielle Erlaubnis dazu erhalten
zu haben. Wie alle Geistlichen des Landes, trug er einen weißen Turban,
der, um seine hohe geistliche Würde auch äußerlich in die Augen fallen
zu lassen, von enormem Umfang und pyramidaler Höhe war. Sein
übriger Anzug bestand in einem schwarzen, tuchenen Burnus; hochschuabelige
Schuhe standen ihm zur Seite. Er saß auf dem Teppich, der den Fuß-
boden bedeckte. In der Hand hielt er ein großes Kreuz aus massivem Golde.
Freudiges Entzücken malte sich ans dem Antlitz des Negus, als ich
ihm den in einer rotsamten, geschmackvoll dekorierten Mappe ruhenden
Brief des Kaisers von Deutschland überreichte. Der Herrscher Äthiopiens
löste die schwarzweißrotseideue Schnur, welche die Umhüllung zusammen-
hielt, und jetzt, ans weißem Atlas liegend, zeigte sich seinen erstaunten
1) Jeder bedarf in Abessinien zur Vermittlung mit Höherstehenden eines Balde-
raba, welcher gewöhnlich der Vertraute dessen ist, mit dem man in Perbindung treten will.