1887 -
Münster i.W.
: Schöningh
- Autor: Treuge, Julius, Hellinghaus, Otto
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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war und kleine Vorsprünge das Aufsetzen des Fußes erleichterten. Wo dies
nicht der Fall, ist der benagelte Bergschuh bei weitem vorzuziehen. Mit
Schleier und blauer Brille zum Schutze der Augen gegen das gefährliche
Blenden des Schnees hatten wir uns wohlweislich versehen. Bis zum
Kraterrande war der Anstieg ziemlich eintönig : trotz der beträchtlichen Steil-
heit und ungeachtet wir seit Monaten keinen Berg betreten hatten, nahmen
diese 940 Meter Höhenunterschied nur drei Stunden in Anspruch. Den
Indianern schien es völlig gleichgültig zu sein, ob sie aus ebenem Boden
oder an steilen Wänden gingen; sie bezeichneten die Entfernung stets nach
dem geradlinigen Abstand und uicht uach der Höhe.
Um 9 Uhr war der Kraterrand erreicht. Ganz unvermittelt und un-
geahnt erschloß sich der Blick in den schauerlicheu Felsenkessel, dessen gelb-
graue Wände uns gegenüber bis zu 620 Meter senkrecht aus der Tiefe
emporstiegen. Der Anblick hat etwas überwältigend Grausiges, das keiu
Bild und keine Beschreibung wiedergebe« kann. Der in der Tiefe aus
deu Solfatareu aussteigende Dampf, die eigentümliche Mischung von
Schwefelgelb und Aschgrau im Kessel, der blendend weiße Schnee aus
den Rändern der Wände und der tiefblaue Himmel darüber vereinigen
sich zu Lichteffekteu, welche man gesehen haben muß, um sie für möglich
zu halten. Wir verweilten hier zunächst nur kurze Zeit, um alsbald
zur Besteigung des Gipfels zu schreiten. Dieser befindet sich an der
Südwestseite des Kraterrandes, dessen Neigung von Südwest nach Nord-
ost eine ziemlich gleichförmige ist; der Höhenunterschied zwischen den
gegenüberliegenden Punkten des Randes mag an 375 Meter betragen.
Unsere Führer weigerten sich anfangs zwar weiterzugehen und schützten
gefährliche Stellen und schlechte Beschaffenheit des Schnees vor; sie
mußten aber nachgeben, da wir andernfalls ohne sie gegangen sein würden.
Die Sache gestaltete sich nicht so schlimm; den Kraterrand entlang an-
steigend, abwechselnd auf den Felsblöcken selbst und an den steilen Schnee-
lehnen längs derselben klimmend, wurde in fünf Viertelstunden die Spitze er-
reicht. Gefährliche Stellen hatten wir kaum zu passieren, doch war
Schwindelfreiheit und ein ganz sicherer Tritt an manchen Orten erwünscht.
Der Gipfel selbst besteht aus einer sanft gewölbten Schneefirst, deren höchste
Stelle nur etwa 10 Meter vom Rande der senkrecht abfallenden Krater-
wand entfernt ist. Die Meereshöhe der Spitze beträgt nach der neuesten
trigonometrischen Messung 5391 Meter. Die Schneewände ringsum siud
von den Sturmwinden in ein Schollenmeer zerwühlt worden, dessen
Furchen eine Tiefe von 2 Meter erreichen. Abgesehen von einzelnen
kurzen Windstößen, war es zur Zeit völlig still und so sonnig warm,
daß wir volle drei Viertelstunden am Kraterrande sitzen und das groß-
artige Schauspiel mit Muße bewundern konnten. Über dem Thale von
Mexico lagerten freilich noch Wolken, aus denen nur der Pie von Toluca