1887 -
Münster i.W.
: Schöningh
- Autor: Treuge, Julius, Hellinghaus, Otto
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Reiß: Die Jivaros-Judianer in Ecuador. 253
barmachung vor; das Bebauen des stets in einiger Entfernung von der
Wohnung im Walde liegenden Feldes fällt, wie alle andere Arbeit, den
Franen zu.
Eine Sitte bei der Wahl der Frauen verdient Erwähnung. Ein
Mann kann nämlich ein kleines, gar noch an der Mutterbrust liegendes
Kind zur Frau nehmen; er hat dann den Vorteil, das Mädchen nach
seinen Neigungen zu erziehen, kann dafür aber auch verpflichtet werden,
die Mutter mit allen übrigen Kindern zu sich nehmen und zu ernähren.
Die schreckliche Sitte der Blutrache herrscht bei den Jivaros mit un-
erbittlicher Strenge. Für jedes erschlagene Glied einer Familie sind die
nächsten Verwandten, für jeden gefallenen Krieger ist der ganze Stamm ver-
pflichtet, Rache zu nehmen. Entweder muß der Sieger selbst ermordet werden,
oder ein Stammesgenosse, ?iu Verwandter muß als Opfer fallen. Der
geschädigte Teil rüstet sich heimlich zu einem Überfall; lautlos wird der
Wald durchzogen mit Vermeidung aller Wohnungen, um in der Dunkel-
heit einen plötzlichen Überfall auf die unvorbereitete Behausung aus-
führen zu köuuen. Wenn möglich, wird das Haus in Brand gesteckt und
die Insassen ermordet. Selten wird ein Überfall so vollständig gelingen,
daß nicht einem der Bewohner Zeit bliebe, das Alarmzeicheu mit der
Lärmtrommel zu geben. Dann ziehen die in den benachbarten Tambos
wohnenden Familien zur Unterstützung ihrer Freunde herbei, verfolgen
die sich nun zurückziehenden Angreifer, wobei nur allzu leicht neue Glieder
iu die unendliche Kette der Blutrache verflochten werden.
Immer neue, immer mehr Opfer wird die schreckliche Sitte ver-
langen, alle Sicherheit muß schwinden, jeder einzelne lebt fortdauernd in
der Gefahr, überfallen zu werden; der Kriegszustand ist allgemein und
permanent. Daher auch die Einrichtung der Häuser, deren eine Thür
zur Flucht benutzt werden kann, während an der andern der Kampf
wütet; daher auch die eingangs erwähnten Gebräuche bei Annäherung an
eine Wohnung, zu deren Schutze noch außerdem eine Schar halbwilder Jagd-
Hunde gehalten wird. Der Streit zweier Familien muß Kämpfe ganzer
Stämme herbeiführen, größere Gruppen von Stämmen werden gegenein-
ander in Feindschaft geraten, Krieg und Kampf wird zur Gewohnheit,
zur Lebensaufgabe des Mannes. Eine längere Periode der Ruhe, des
Friedens muß einer solchen Nation von Kriegern unerträglich sein. Ehr-
geizige, kühne Anführer werden leicht Gefährten zu gemeinsamen Kriegs-
zügen sinden, die benachbarten Nationen werden überfallen und ausge-
plündert. So führen diese Indianer unter sich einen Vernichtungskampf,
der nach und nach ihren eigenen Untergang herbeiführen muß. Schon macht
sich eine starke Entvölkerung in Gebiete der Jivaros bemerkbar, welche
noch beschleunigt wird durch die zeitweilig mit großer Heftigkeit auf-
tretenden Epidemieen der durch die Europäer eingeführten Krankheiten.