1896 -
Leipzig
: Hirt
- Autor: Leite, Rudolf
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
I. Bodenbeschaffenheit.
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1. Bild 30 a versetzt uns in den Teil Finnlands, der die Finnische
Pels- und Seeenplatte lieisst. Das Eigentümliche dieser vom Bott-
nischen Meerbusen allmählich aufsteigenden Platte wird am treffendsten
mit den Worten „Felsen und Seeen" bezeichnet. Grosse Strecken zeigen
nackte Felsen, auf denen Blöcke von Granit, Gneiss und Glimmer wild
umhergeworfen sind, „als ob hier der mythische Kampf der Titanen statt-
gefunden hätte". Granitisches Gestein bildet überall die Grundlage der
Flächen. Auch da, wo eine dünne Ackerkrume je nach ihrer Mächtig-
keit Weideland, Acker oder Wald trägt, tritt allerwärts der nackte Fels
als Fussgestell hervor. Aus wogenden Kornfeldern ragen z. B. gleich
Riffen unbedeckte Felsen empor. Auf Äckern sieht man überall zu-
sammengelegte Steinhaufen, und die Wälder des Nordens erhalten durch
grossartige Felsentrümmer ein wildes Aussehen. Neben den granitnen
Felsen bestimmen Tausende von Seeen den Grundcharakter dieser Gegend.
Sie nehmen die andere Hälfte des Bodens ein. Die meisten derselben
sind Einsenkungen ohne jeden Abfluss und durch Kanäle und Flussläufe
untereinander verbunden. Hier erscheinen öfters die Flüsse seeartig und
die Seeen flussähnlich. So kann man auch nicht bestimmt sagen, ob
unser Bild einen finnischen See oder Fluss darstellt. Jedenfalls aber
zeigt es deutlich die mitten im See oder Flussbett, zu Tage tretende
Felsoberfläche und Klippen. Die Wogen brausen über und zwischen
zerbrochenen Granitblöcken, aus deren Spalten Birken und Tannen hervor-
wachsen, dahin. Umrahmt sind diese vielgestaltigen Seeen — siehe M.
und H. — von malerisch geformten, dichtbewaldeten Bergkuppen und
Inseln. Die ausgedehnten Waldungen bestehen meist aus dunklen Nadel-
hölzern und hellen Birken. Zu diesen gesellen sich zahlreiche Faul-,
Wacholder- und Vogelkirschbäume. Es ist begreiflich, dass die finnische
Fels- und Seeenplatte mit ihrer reichen Mannigfaltigkeit und eigenartigen
Naturschönheit immer mehr das Ziel von Reisenden wird.
2. Bild 30b führt uns weitab nach dem Südosten Russlands, an
den mittleren Lauf der von den Russen hochgeehrten „Mutter" Wolga.
Ein Blick auf die Karte lässt sofort erkennen, dass sie der grösste Strom
Europas ist. Sie erinnert schon sehr an die grossen asiatischen Ströme.
Der Mittellauf beginnt da, wo die Wolga in die Tiefebene eintritt, und
endet, wo er unterhalb Saratow durch Steppen fliesst. Die Wolga hat
im Mittellauf durchweg einen ruhigen Lauf und wenig Gefälle. Auf
dieser Strecke (2700 km lang) sammelt sie die reichen Wasservorräte
des Ural. Und diese ausserordentliche Wasserfülle ist die Ursache der
ausgezeichneten Schiffbarkeit des Stromes. Er durchfliesst in einem
300 m breiten Strombette die gesegnetsten Kulturlandschaften Russlands.
Die Uferbildung ist hier, wie bei den meisten russischen Strömen dadurch
eigentümlich, dass sie auf der einen Seite steil abfallend, bergig, dagegen
auf der gegenüberliegenden Seite niedrig und von Ebenen begleitet ist,
die bei Überschwemmungen meilenweit unter Wasser stehen. Die Wolga
ist unter den erstaunlich vielen schiffbaren Wasseradern des sarmatischen
Tieflands die grösste und bedeutendste. Auf dem ganzen Unter- und