1886 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Lincke, G. A., Ohlert, Bernhard, Klöden, Gustav Adolph von, Ernst, L., Biernatzki, Johannes, Köppen, Fedor von, Blasendorff, Carl
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
284 Die Oder.
des 50 m hohen und eine prächtige Aussicht gewährenden Glienberges aus und
wird von schönem Hochwalde eingerahmt. — Ahlbeck, ursprünglich ein bloßes
Fischerdorf, liegt im Osten der Insel 5 km von Swinemünde und 2 km von
Heringsdorf entfernt. Es lehnt sich an den Hochwald, welcher nach Osten hin
die Küste umsäumt, und zieht namentlich solche Badegäste an, welche mit ihren
Ausgaben maßhalten müssen und doch nicht auf alle Annehmlichkeiten verzichten
wollen. — Heringsdorf, das auf ansteigender, mit schönstem Eichen- und
Buchenwalde gekrönter Düne sich ausbreitet, ist die Perle der Ostseebäder.
Der Ort, welcher erst 1819 vom Oberforstmeister von Bülow ins Leben gerufen
und 1820 vom Kronprinzen Friedrich Wilhelm Heringsdorf genannt ist, weil
ihm wie seinem königlichen Vater hier frischgebratene Heringe trefflich gemundet,
wurde bereits 1828 durch den Bau größerer Badeanstalten ein öffentliches
Seebad. Seitdem wechselte der Grund und Boden mehrfach den Eigentümer,
seit 1872 findet er sich in dem Besitze einer Gesellschaft. Jetzt zeichnet sich
Heringsdorf außer durch treffliche Badeeinrichtungen und großartige Gasthäuser
durch eigne Wasserleitung, eine ins Meer gebaute und mit Ruhebänken ver-
sehene Doppelbrücke und einen auf der Düne angelegten und bis Ahlbeck
reichenden festen Strandweg aus, welcher seewärts den Blick auf das Meer
und landwärts auf die hübschen Landhäuser gestattet, welche malerisch aus den
parkähnlichen Gartenanlagen hervorlugen. Nach Westen führt ein Weg zu dem
Kulm, einer steilen, zur See abfallenden bewaldeten Höhe, von wo das Auge
die weite Swinemünder Bucht mit ihren zahlreichen Schiffen überschaut und
sogar Rügens Küste wahrzunehmen vermag. Schön liegt auch in der Stille
des Buchwaldes die in gotischem Stile aufgeführte Kirche, deren Bauplan
König Friedrich Wilhelm Iv. entworfen hat. Alle diese Vorzüge haben viele
reiche Leute veranlaßt, sich hier Landhäuser zu bauen, sie locken aber auch sonst
zahlreiche Badegäste herbei, meist solche, welche auch am Strande die Annehm-
lichkeiten der großen Stadt nicht entbehren wollen.
Mit Heringsdorf wetteifert das auf Wollin befindliche Misdroy. Hält
auch die Lage dieses Ortes mit der jenes Bades keinen Vergleich aus, so ist
doch hier die weitere Umgegend unstreitig großartiger. Schöne Laub- und
Nadelwälder in einem Umfange von 169 qkm umgeben das im Thale malerisch
gelegene Dorf. Aus demselben ragt ostwärts der vielbesuchte Kaffeeberg, füd-
wärts der durch herrliche Rundsicht ausgezeichnete Brandberg hervor. Der
berühmteste Punkt der Umgebung ist der Jordansee, welcher in zwei Stunden
zu erreichen ist. Er ist von der Ostsee durch eine ungefähr 500 Schritte breite
Düne getrennt, auf der jetzt eine Zementfabrik steht. Die eigentümlichen nach
Süden gewandten Ausbuchtungen geben dem tiefen, fischreichen See die Gestalt
einer Hand. Seine steil abfallenden Ufer werden von schönen Buchen beschattet,
deren Zweige vielfach bis anfs Waffer herniederreichen, sich darin in wunderbarer
Schönheit abspiegeln und so dem See ein geheimnisvolles, düsteres Aussehen ver-
leihen. Um denselben führen hart am User schön gepflegte Steige. Am Südende
gelangt man auf einer hölzernen Brücke zu einer von Kiefern bestandenen kleinen
Insel, wo ein Wirtshaus den Wanderer zur Einkehr ladet, und in der Nähe des-
selben hält ein alter Schiffer sein Boot bereit zu einer Fahrt über den See, der
in seiner eigenartigen Schönheit von keinem andern pommerschen erreicht wird.