1886 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Lincke, G. A., Ohlert, Bernhard, Klöden, Gustav Adolph von, Ernst, L., Biernatzki, Johannes, Köppen, Fedor von, Blasendorff, Carl
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
456 Königsberg.
Oletzko. Natürlich gewann Königsberg als Residenz der Landesfürsten sehr an
Bedeutung und der Wohlstand der Bürger nahm dadurch zu, obwohl gewiß
nicht in gleichem Maße mit dem von dem fürstlichen Hofhalt, wie im Privat-
leben entwickelten Luxus. Unter dem Herzog Albrecht freilich herrschte Spar-
samkeit und Mäßigkeit im Hofhalt: aber unter seinem Sohne, während der
vormundschaftlichen Regierung des Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach,
werden die Hoffestlichkeiten höchst glänzend und schwelgerisch. Bei einem Gast-
mahl, das den polnischen Abgesandten gegeben wurde, wurden 115 verschiedene
Gerichte aufgetragen. Es gingen während der Anwesenheit dieser Herren in
Königsberg in jeder Woche 66 Faß Bier und 14 Ohm rheinischer Wein, andrer
Getränke nicht zu gedenken, 30 Ochsen und im Verhältnis andres zahmes und
wildes Getier auf. Auch im Privatleben herrschte übertriebener, zum Teil
höchst geschmackloser Luxus. Es war die Zeit der ungeheuren Hosen, von denen
ein Paar 120 Ellen Zeug und darüber erforderte, und fast ebenso riesiger
Halskragen. Weder obrigkeitliche Verordnungen, noch die heftigen Predigten
der Geistlichen gegen die „unchristlichen" Hosen, „diese wahre Erfindung des
Teufels", halfen sonderlich dagegen.
Erfreulicher waren die in jener Zeit üblichen Volksbelustigungen, Mummen-
schanze (Maskenbälle), Fastnachtsspiele, Wasserturniere der Schützengilde, Auf-
züge der Zimmerleute, bei denen sie ihre blanken Beile in die Höhe warfen
und geschickt wieder auffingen, und andre, da sie von dem fröhlichen Behagen
des Bürgers Zeugnis ablegten. So begrüßten die Fleischer Königsbergs das
neue Jahrhundert 1601 mit einem festlichen Aufzuge. Sie hatten eine Wurst
von 1005 Ellen Länge und 885 Pfund Gewicht verfertigt, die in feierlichem
Zuge von 104 wohlgeputzten Gesellen unter Begleitung von Fahnenträgern,
Trommlern und Pfeifern durch die Straßen der Stadt bis vor das Schloß ge-
tragen wurde. Ihnen schloß sich das Bäckergewerk mit acht mächtigen „Striezeln"
und sechs riesenhaften „Kringeln" an. Nachdem 130 Ellen der Riesenwurst
von dem Fürsten huldvoll angenommen waren, wurde das übrige in fröhlichem
Gelage, selbstverständlich mit vielen Tonnen trefflichen Löbenichter Bieres hinab-
gespült, verzehrt.
Der Große Kurfürst und die ostpreußischen Staude. Wir haben ge-
sehen, wie die eigensüchtige Beschränktheit der ostpreußischen Stände und die
Herrschsucht der Regimentsräte vielfach den wohlmeinenden Absichten der Herzöge
entgegenarbeiteten. Auch ein fo kräftiger Monarch wie Friedrich Wilhelm der
Große Kurfürst hatte schon in der Zeit der so äußerst schwierigen Verwickelungen,
die der Krieg zwischen Johann Kasimir von Polen und Karl Gustav von Schweden
mit sich brachte, nur durch zähe Festigkeit, verbunden mit kluger Mäßigung von
den Ständen die unumgänglich notwendige Beihilfe zu der Machtentfaltung er-
halten können, die ihm eine geachtete Stellung zwischen den beiden feindlichen
Mächten sicherte. Der glänzende Erfolg seines ebenso staatsklugen wie ener-
gischen Handelns, das ihm im Vertrage zu Labiau den 20. November 1656
und im Frieden zu Oliva den 3. Mai 1660 die Anerkennung der völligen
Unabhängigkeit Preußens von der polnischen Oberherrlichkeit sicherte, hätte,
sollte man meinen, jedem weiteren Widerstreben der Stände ein Ende machen
sollen. Weit gefehlt! Adel und Städte Preußens sahen in der Befreiung des